Longlegs (2024)

So viel Liebe erhält ein Horrorfilm nur selten: «Longlegs» wird derzeit mit Superlativen überflutet. Manche bejubeln das neuste Werk von Regisseur und Drehbuchautor Oz Perkins als gruseligsten Film des Jahrzehnts. Andere stellen den okkulten Serienmörderfilm gleich auf eine Stufe mit Meisterwerken wie «Das Schweigen der Lämmer» und «Zodiac». Zurecht?

Im Zentrum der Geschichte steht die eigenwillige FBI-Agentin Lee Harker (Maika Monroe), die den Serienmörder Longlegs (Nicolas Cage) jagt. Sie besitzt einen nicht weiter erklärten sechsten Sinn und spürt, wenn sich der Killer in ihrer Nähe befindet. Die Verbindung zwischen beiden wird noch intensiver, wenn der Mörder beginnt, der Ermittlerin kryptische Briefe zu hinterlassen.

Eine verbissene Agentin und ein briefeschreibender Killer machen noch kein «Schweigen der Lämmer» oder «Zodiac». Tatsächlich will «Longlegs» das auch nicht sein. Perkins’ Serienmörderfilm ist keine tiefe Psychoanalyse von Gut und Böse, sondern ein reinrassiger, fieser Horrorfilm. Und der funktioniert selbst unter ungünstigen Umständen.

Findet Lee Harker (Maika Monroe) den Killer?

Als der Wirbel in den USA aufkam, war unklar, ob «Longlegs» in den Deutschschweizer Kinos gezeigt wird. Also ging ich ans Neuchâtel International Film Festival, um den Film an einer Openairvorstellung in der Stadt anzusehen. Kein Ort für einen Horrorfilm: Das Scheinwerferlicht vorbeifahrender Autos störte ebenso wie das Gequatsche von Passanten in der Umgebung. Und doch löste Perkins’ Film Unbehagen aus.

Eine latente Bedrohung

Warum? «Longlegs» hat den Look eines schaurig-dreckigen Serienmördersfilms der 80er-Jahre. Kalte Bilder, langsame Kamerafahrten und gefährlich weite Blickwinkel erzeugen fast durchgehend das Gefühl einer latenten Bedrohung. Der schwere und hoffnungslose Synth-Score untermalt das Geschehen perfekt.

Vor allem aber gefallen die Hauptfiguren. Der tragisch-komische Killer erinnert stark an Buffalo Bill, den Frauenmörder aus «Das Schweigen der Lämmer». Wandlungskünstler Nicolas Cage kratzt immer wieder an der Grenze des Wahnsinns, ohne dabei ins Lächerliche abzudriften. Auch Ermittlerin Harker löst mit ihrer kalten und unberechenbaren Art Unwohlsein aus.

Trailer zu «Longlegs»

Der Filmemacher hat seine Hauptfiguren bewusst leicht überzeichnet. Das passt nicht nur zur fantastisch-okkulten Geschichte, sondern macht sein Werk etwas leichtfüssiger. Keine Angst: «Longlegs» bleibt dadurch ein ebenso düsterer wie nihilistischer Horrorstreifen, ist so aber etwas leichter verdaulich.

Ist Perkins’ Werk der gruseligste Film des Jahrzehnts? Wahrscheinlich nicht, denn dafür fehlt es an emotionalem und inhaltlichem Tiefgang. Anspruchsvolle Horror-Highlights wie «Hereditary» oder «Us» machen es besser: hier steht mehr auf dem Spiel. Möglicherweise (wenn unwahrscheinlich) ändere ich meine Meinung nach der zweiten Sichtung. Dieses Mal gewiss im geschlossenen Saal. Ohne jegliche Ablenkung.

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