Drive My Car (2021)

Der rote Saab 900 Turbo auf dem Filmposter steht stellvertretend für «Drive My Car»: klare, individuelle Linien stechen sofort ins Auge. Doch erst die hohen Qualitätsansprüche und die Detailliebe der Ingenieure machten ihn zum Kultobjekt, das er heute ist. Dem Film dürfte es ähnlich ergehen.

Die ersten vierzig Minuten sind Prolog. Sie verschaffen einen Einblick in das Leben von Schauspieler Yûsuke Kafuku (Hidetoshi Nishijima) und seiner Frau, der Autorin Oto (Reika Kirishima). Der Funke ist erloschen, die Bindung noch da.

Die eigentliche Geschichte beginnt zwei Jahre nach Otos Tod. Kafuku, mittlerweile Theaterregisseur, soll für ein Festival in Hiroshima Tschechows Stück «Onkel Wanja» inszenieren. Aus Sicherheitsgründen drängt ihm der Veranstalter die Fahrerin Misaki Watari (Tôko Miura) auf. Sie übernimmt fortan das Steuer von Kafukus rotem Saab. 

Mehr als die Buchvorlage «Drive My Car»

«Drive My Car» basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Bestseller-Autor und Beatles-Fan Haruki Murakami. Regisseur Ryûsuke Hamaguchi reichte der Stoff aber nicht aus. Er liess in sein Drehbuch zusätzlich Elemente von den Murakami-Geschichten «Scheherazade» und «Kinos Bar» einfliessen.

Yûsuke Kafuku (Hidetoshi Nishijima) und Misaki Watari (Tôko Miura) im roten Saab 900.

Während drei Stunden entsteht ein sehr differenziertes Bild von Kafuku. Seine Theater inszeniert er mehrsprachig. Die Schauspieler kommunizieren, obwohl sie sich nicht verstehen. Kafuku versteht die Sprache und ihre Wirkung. Seine Gefühle kann er aber nicht in Worte fassen, seinen Verlust hat er nicht verarbeitet. Erst die Fahrten durch Hiroshima verschaffen ihm auf dem Rücksitz seines Autos eine Sicherheitszone, in der er sich seinen Emotionen stellen kann.

Regisseur Hamaguchi hat eine klare Bildsprache: bedächtig ausgewählt, ruhig und kontrastreich untermalen die Bilder die Tonalität des Films. Dem Zufall wird nichts überlassen. Nicht mal Saab – an seiner eigenen Perfektion gescheitert – hat seine Fahrzeuge so stilvoll inszeniert.

Die Dialoge in «Drive My Car» sind realistisch aber fokussiert, mal leicht, mal intensiv. Als ein junger Schauspieler Kafuku eine Geschichte von Oto nacherzählt, erinnert das an Ingmar Bergmans hypnotische Erzählszene in «Persona». 

Doch erst wenn geschwiegen wird, brilliert Hamaguchis Drama. Ein starrer Blick aus dem Fenster, eine schüchterne Umarmung: «Drive My Car» bringt Emotionen auf die Leinwand, für die Worte nicht ausreichen. Das gelingt dank eines phänomenalen Casts. Hauptdarsteller Nishijima spielt sich mit seiner minimalistischen, aber menschlichen Darbietung direkt ins Herz der Zuschauer.

Allem Lob zum Trotz: Ein paar Minuten weniger hätten dem Film nicht geschadet – gerade während des dritten Akts. Doch das ist Jammern auf hohem Niveau. «Drive My Car» ist einer der schönsten, tiefgründigsten und besten Filme der letzten Jahre.

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