Tick, tick… BOOM (2021)

Wenn ich alte Disney-Filme schaue, wünsche ich mir meistens, die ollen Gesangseinlagen würden bald aufhören. Beim Musical-Biopic «Tick, tick … BOOM» ist es umgekehrt. Die gesungenen Teile sind Höhepunkte.

New York 1990: Jonathan Larson (Andrew Garfield) steht kurz vor seinem 30. Geburtstag. Er arbeitet als Kellner in einem Diner, doch seine Passion gilt dem Musical. Seit acht Jahren schreibt er an dem Science-Fiction-Epos «Superbia», das seiner Meinung nach den Broadway auf den Kopf stellen würde. 

Larson kämpft mit den typischen Problemen eines jungen Künstlers. Er hat Ideen, aber kein Geld und keine Unterstützer. Viele seiner Kollegen haben bereits aufgegeben. Sein bester Freund Michael (Robin de Jesús) hat seine Schauspieler-Träume an den Nagel gehängt und arbeitet jetzt für eine Werbeagentur. 

Nicht nur für Musical-Fans

«Tick, tick… BOOM» basiert auf dem gleichnamigen Musical von Larson, welches wiederum die Entstehung von «Suberbia» erzählt. Das klingt kompliziert, doch der Film schafft es gut, die unterschiedlichen Zeitebenen voneinander abzuheben. Vorwissen ist nicht nötig.

Schafft ihre Liebe das?

Wie viele Künstler-Biopics ist auch der Film von Lin-Manuel Miranda eine Hommage und keine Abrechnung. Ausnahmetalent Larson, der kurz vor seinem Durchbruch mit 35 Jahren an einer Aortendissektion verstorben ist, wird mit «Tick, tick… BOOM» jetzt auch noch in den Köpfen von Filmfans verewigt.

Das Resultat gefällt. Der Zuschauer muss sich darauf einlassen, dass Teile des Films vorgesungen werden. Das geht zwar – trotz wichtiger sozialer Themen wie Homophobie und Aids – auf Kosten des Dramas, erhöht dafür den Spassfaktor. Wenn Larson in seiner Bruchbude zum Ständchen anstimmt und plötzlich seine Gäste alle mitmachen, ist das zwar lächerlich, sorgt aber für gute Laune. Trotzdem schafft es der Film, die wirre Gedankenwelt des Künstlers nachvollziehbar aufzuzeigen.

Perfekt funktioniert das Rezept während eines Streits zwischen Larson und seiner Freundin Susan (Alexandra Shipp). Miranda wirft Musical- und Film in einen Topf. Erst sehen wir die Filmrealität, dann Larsons Interpretation auf der Bühne. Vom Drama zur Komödie – und wieder zurück. Auch wenn der Ausdruck abgelutscht ist: Das ist wahrlich eine Achterbahn der Gefühle.

Wirklich stark ist «Tick, tick… BOOM» wenn die Protagonisten singen. Das überrascht kaum, ist Miranda doch Schöpfer des populären Broadway-Musicals «Hamilton». Das Larson-Biopic ist sein Spielfilmdebüt.

Visuell aus dem Lehrbuch

Und das merkt man auch. Wird nicht gesungen, liefert «Tick, tick… BOOM» Filmkunst von der Stange. Keine spektakulären Kamerafahrten wie bei Edgar Wright, keine ausdrucksstarken Bilder wie bei Steven Soderbergh. Visuell ist Mirandas Werk unspektakulär und wegen auffälligen Computer-Tricks manchmal etwas unschön anzusehen. Und die Dramaturgie orientiert sich strikt nach Lehrbuch.

Doch das ist sekundär. Mit Garfield hat der Filmemacher einen charismatischen Hauptdarsteller engagiert, der alle kleinen Mankos vergessen lässt. Nicht nur überzeugt sein Gesang, er schafft es auch, trotz typischer Musical-Leichtigkeit, Larson greif- und erlebbar zu machen. Oft ganz ohne Worte. Eine Oscar-Nomination wäre angebracht.

«Tick, tick… BOOM» ist ein sehenswertes Porträt über einen Künstler, der viel zu früh von uns gegangen ist. Selbst Musical-Muffel werden ihre Freude daran haben. 

Falls ihr Euch immer noch fragt, wer Larson war: Sein letztes Stück hiess «Rent».

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