Alkohol macht Rona (Saoirse Ronan) erst euphorisch, dann aggressiv und ausfällig. «The Outrun» ist ein bedrückendes Porträt einer jungen, alkoholkranken Frau. Trotzdem lässt der Film von Regisseurin Nora Fingscheidt den Zuschauer nicht hoffnungslos zurück.
Die dreissigjährige Rona kehrt nach rund einem Jahrzehnt in London auf die schottischen Orkney-Inseln zu ihren Eltern zurück. Dort will sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen, nachdem Drogen und Alkohol sie in der Grossstadt in den Abgrund gezogen haben. Doch die Sucht lässt sich nicht einfach abschütteln.
«The Outrun» basiert auf dem autobiografischen Roman der schottischen Journalistin Amy Liptrot, die mit Regisseurin Fingscheidt gemeinsam das Drehbuch verfasst hat. Das verschafft Authentizität und Glaubwürdigkeit. Der Film ist weder überdramatisiert noch beschönigend.
Ronas Charakter widerspiegelt sich in der wunderbar eingefangenen wilden Küstenlandschaft der Orkney-Inseln. Wie eine Welle, die lautstark an die Felsen schlägt, kommt in ihr plötzlich das Verlangen nach Alkohol hoch. Eine Macht, die sie nicht beeinflussen kann. Bis jetzt nicht.
«The Outrun» macht Hoffnung
Alkoholismus wurde schon oft auf der Grossleinwand thematisiert. Häufig enden die Geschichten tragisch. Man denke an die tristen Oscar-Gewinner «Leaving Las Vegas» und «A Star is Born». Beide (absolut sehenswerten) Filme enden mit dem Tod ihres Protagonisten.
Statt den Mahnfinger zu erheben, macht «The Outrun» Hoffnung. Er porträtiert eine Protagonistin mit Durchhaltewillen, die trotz ständiger Rückschläge für ein Leben ohne Sucht kämpft. Sie ist ein Vorbild für Alkohol- und andere Suchtkranke.
Von romantisierendem Wohlfühlkino ist Fingscheidts Film jedoch meilenweit entfernt. Es ist herzzerbrechend, wenn Rona im Vollrausch ihre nächsten Menschen verbal attackiert. Nur um sich am nächsten Tag und ohne jegliche Erinnerung unter Tränen zu entschuldigen.
Im Zentrum von «The Outrun» ist eine (erneut) hervorragende Darstellung von Saoirse Ronan. Mit ihrem nuancierten, meist subtilen Spiel (das Gegenteil von Nicolas Cage in «Leaving Las Vegas») verschafft sie dem Film die nötige Schwere und Glaubwürdigkeit. Dafür dürfte sie die eine oder andere Auszeichnung erhalten.
Ronan macht mit ihrem starken Schauspiel auch wett, dass der Film durch seine häufigen Sprünge zwischen verschiedenen Zeitebenen stellenweise schlecht greifbar wird. Das mag das rastlose Innenleben der Protagonistin aufzeigen, lenkt jedoch von der Geschichte ab. Nur ganz am Schluss funktionieren die Zeitsprünge richtig gut.
Trotzdem lohnt sich der Kinobesuch für «The Outrun». Ein empathisches Alkoholiker-Drama ohne Mahnfinger, grandios gespielt und schön inszeniert. Europäische Filmkunst in Hochform.