The Northman (2022)

Blinde Gewalt, inbrünstige Schreie, durchtrainierte Oberarme: Der Wikinger-Rachethriller «The Northman» hat mehr Testosteron als ein schwedischer Deathmetal-Song. Audiovisuell überwältigend, fehlt es Robert Eggers› drittem Werk inhaltlich aber an Tiefe.

Wikingerkönig Aurvandill (Ethan Hawke) kehrt Ende des 8. Jahrhunderts schwer verwundet aus einer Schlacht zurück. Vor seinem Ableben will er die Macht seinem zehnjährigen Sohn Amleth (Oscar Novak) übertragen. Doch Fjölnir (Claes Bang) macht diesen Plan zunichte. Er tötet Aurvandill und krallt sich den Thron.

Mit Glück und Überlebenswillen gelingt Amleth die Flucht. Der Bube schwört Rache. Jahre vergehen, bis er (nun gespielt von Alexander Skarsgård) auf die Insel zurückkehrt. Seine Sehnsucht nach Vergeltung ist grösser denn je.

Will Rache: Amleth (Alexander Skarsgård).

Klingt bekannt? Ist es auch. «The Northman» basiert auf einer altdänischen Sage, die Inspiration für Shakespeares «Hamlet» war. Die klassische Rächer-Geschichte – Sohn will Tod von Vater vergelten – wurde seither zigmal neu interpretiert.

«The Northman» setzt auf Realismus statt Romantik

In vielerlei Hinsicht ist Eggers Adaption beeindruckend. Gefilmt in Island und Irland, zeigt der Film eine rohe, kalte Wikinger-Welt. Warmes Sonnenlicht ist selten, Nebel und schwere Wolken prägen das Bild.

Dank Hilfe von Historikern bringt der Filmemacher ein äusserst realistisches Bild der Nordmänner auf die Leinwand. «The Northman» zeigt Rituale und Bräuche, die in anderen – oft romantisierten – Wikinger-Filmen bisher nie gezeigt wurden. Wie bei seinen Vorgängerwerken streut Eggers auch hier eine Prise Mythologie dazu. So zeigt der Film nicht nur Bräuche und Lebensweise, sondern auch die Gedankenwelt der Figuren.

Verglichen mit dem gefeierten Erstling «The Witch» und dem Kritikerliebling «Der Leuchtturm», ist «The Northman» eine Dimension grösser. Mit einem Budget von 60 Millionen Dollar kostete der Film ein Vielfaches der beiden Vorgänger. Eggers konnte so eine weitere Filmwelt zimmern: mit grösserem Cast, mehr Schauplätzen und mehr Action.

Blass: Olga vom Birkenwald (Anya Taylor-Joy)

Trotzdem ist der Film eindeutig als Eggers’ Werk zu erkennen. Keine Einstellung wirkt zufällig. Die Stimmung und Gemütslage seiner Protagonisten fängt er dank atemberaubenden Nahaufnahmen perfekt ein. Auch die aufwendigen Action-Choreografien – ein Novum für den US-Amerikaner – sind mit meisterlicher Präzision umgesetzt. Unnötige Schnitte gibt es hier nicht. 

Dazu kommt ein imposanter Score, der sich zwischen keltischen Geigenklängen und gottähnlichem Halsgesang bewegt. Audiovisuell gehört «The Northman» zum bisherigen Highlights des Jahres. 

Im Norden nichts Neues

Insgesamt hat der Film der Rache-Mythologie aber nicht Neues hinzuzufügen. Eggers kategorisiert zwar nicht simpel in Gut und Böse, und doch fehlt es den Figuren an Substanz. Trotz viel Pathos bleibt Skarsgård über zwei Stunden Laufzeit ein simpler Rächer.

Sowieso macht der Filmemacher aus dem hochkarätigen Cast zu wenig. Nicole Kidman und Anya Taylor-Joy spielen blasse, klischeebehaftete Frauenfiguren. Und Willem Dafoe und Björk – beide im Trailer gross angekündigt – kommen gemeinsam auf keine zehn Minuten Leinwandzeit.

Eggers handwerkliches Können lässt über vieles davon hinwegsehen. Doch bleibt am Schluss das Gefühl, das Regietalent hätte «The Northman» besser um ein paar Stufen kleiner inszeniert.

FilmKult-Newsletter

Einmal im Monat findest du im FilmKult-Newsletter sorgfältig kuratierte Streaming-Tipps und aktuelle Kinokritiken. Melde dich jetzt an!

*Wir behandeln deine Daten vertraulich. Mit der Anmeldung akzeptierst du unsere Datenschutzerklärung.