The Killer (2023)

Er wartet geduldig am Fenster, schläft auf einem Holztisch und hört zum Ausgleich Indierock: «The Killer» von David Fincher gibt Einblick in den Alltag eines pragmatischen Auftragsmörders. Ein makellos inszenierter, eiskalter und schwarzhumoriger Rachethriller. Doch hinter der kühlen Fassade steckt mehr.

Der namenlose Killer (die perfekte Wahl: Michael Fassbender) ist für einen Job in Paris. Tagelang wartet er mit Scharfschützengewehr in einem baufälligen Raum auf sein Opfer. Geduld ist gefragt. Zum Zeitvertrieb hört er «The Smiths», fürs Essen muss der McDonald’s um die Ecke reichen.

Als er seinen Auftrag erfüllen will, macht der Killer einen fatalen Fehler: Er erschiesst nicht seine Zielperson, sondern die Prostituierte vor ihr. Oh Shit! Zeit für Rückbesinnung fehlt. Er entsorgt die Waffe, wechselt sein Outfit und verschwindet umgehend. Dann erstattet er seinem Chef Bericht. Der ist gar nicht erfreut.

The Killer Michael Fassbender Yoga
Ganz entspannt: Michael Fassbender macht Yoga.

Zurück in seinem Domizil in der Dominikanischen Republik findet er Chaos statt Ruhe. Kaputte Scheiben, zerstörte Möbel und blutbeschmierte Wände. Das Blut stammt von seiner Freundin, die mit schweren Verletzungen im Krankenhaus liegt. Sie habe geschwiegen, sagt sie stolz. Der Killer schwört Rache.

Kalt und gradlinig

«The Killer» basiert auf der gleichnamigen Comicbuchreihe des Franzosen Alexis Nolent. Das Drehbuch stammt von Andrew Kevin Walker, der vor fast drei Jahrzehnten das ausgeklügelte Script zu «Sieben» geschrieben hat. Der umstrittene und breit diskutierte Horrorthriller war für Fincher wie für Walker der erste grosse Erfolg.

Anders als die letzte Zusammenarbeit hat «The Killer» bislang keine hohen Wellen geschlagen. Das überrascht erst mal nicht. Die Geschichte verläuft gradlinig und schnörkellos, beinahe unspektakulär. Und obwohl der Film die Perspektive des Killers einnimmt und dieser aus dem Off den Zuschauer in seine Gedankenwelt mitnimmt, bleibt der Protagonist unnahbar. Gleiches gilt für die übrigen Figuren, selbst wenn die wunderbare Tilda Swinton eine davon spielt.

Trailer zu «The Killer».

Das macht Raum für Details. Fincher ist bekannt dafür, dass er nichts dem Zufall überlässt. Zigmal nimmt er jede einzelne Szene auf und treibt damit Cast und Crew in den Wahnsinn. Das zahlt sich aus. «The Killer» ist vollkommen makellos inszeniert. Jeder Schnitt eine Punktlandung, jede Kameraeinstellung mit klarem Fokus. Der harte, unbequeme Elektro-Score von Trent Reznor und Atticus Ross ergänzt die dunklgrünen Bilder perfekt.

«The Killer» als perfektes Arbeitstier

Dass ein so detailversessener Regisseur bei den Figuren pfuscht, ist unwahrscheinlich. Tatsächlich: Erst mit etwas Distanz entfaltet «The Killer» seine volle Wirkung. Der kalte Film über einen nihilistischen Auftragsmörder entpuppt sich als überzeichnetes Abbild unserer leistungsorientierten Arbeitswelt.

Fassbenders Protagonist ist das perfekte Arbeitstier. Er ist ausdauernd, präzise und gehorsam. Hierarchie ist ihm wichtig. Seine Aufträge hinterfragt er nicht, Eigeninitiative ergreift er nur im Rahmen seiner Kompetenz. Das Mittagessen drückt er schnell in einem seelenlosen Fast-Food-Tempel in sich rein. Mehr lässt die Arbeit nicht zu.

Tilda Swinton in The Killer (2023)
Immer wunderbar: Tilda Swinton.

Zum Ausgleich macht er Yoga und hört Musik aus seiner Kindheit. Sinn findet der Killer in seinem Mantra, das von Empathielosigkeit und Egoismus strotzt. Der kalte Auftragsmörder ist ein perfekter Selbstoptimierer. Ein Lebensstil, den gut gekleidete Influencer und gierige Crypto-Missionare auf TikTok und Youtube predigen. Nur so entsteht der Killerinstinkt für die Businesswelt.

Das harte und einsame Arbeiterleben zahlt sich aus. Der Killer fährt einen teuren Geländewagen und wohnt in einem riesigen Anwesen auf einer Insel. Selbstverständlich mit Meersicht. Du hast mehr Geld, als du jemals ausgeben kannst, sagt ihm sein Chef einmal. Der Protagonist steht auf der Gewinnerseite des Kapitalismus. Aber nur in der Theorie: Tatsächlich präsentiert Fincher das Leben des namenlosen Killers als einsam, inhaltsleer und ziellos. Nicht erstrebenswert. Ein Ausbruch ist überfällig.

«The Killer» ist erst auf den zweiten Blick ein typischer Fincher-Film. Präzises, kurzweiliges Unterhaltungskino mit versteckter Substanz. Damit stellt sich das jüngste Werk des Regisseurs in eine Reihe mit «Gone Girl» und «Fight Club». Auch wenn beim jüngsten Wurf die grossen Überraschungen ausbleiben.

«The Killer» läuft aktuell im Kino. Ab dem 10. November ist der Film auf Netflix verfügbar.

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