The Holdovers (2023)

Eigentlich hat «The Holdovers» nur zwei Probleme. Für das erste – und ärgerliche — sind die Filmemacher nicht mal selbst verantwortlich: das Veröffentlichungsdatum. Wer bringt schon einen Weihnachtsfilm im Januar ins Kino? Zweiter Kritikpunkt: die Grundidee. LehrerSchüler-Beziehungen auf der Grossleinwand sind etwas abgestanden. Doch in diesem Fall stört das nicht. Dafür sind die übrigen Zutaten viel zu gut.

Neuengland in den 70er-Jahren: Miesepeter Paul Hunham (Paul Giamatti) ist seit Jahrzehnten Geschichtslehrer an einem Elite-Internat. Er ist kompromisslos und streng, ein Albtraum für seine verwöhnten Schüler. Auch bei seinen Kollegen kommt die ruppige Art des Mittfünfzigers nicht an. Sie verdonnern Paul über das Weihnachtsfest im Internat zu bleiben, um eine Handvoll Schüler zu hüten.

Nach ein paar Tagen ist noch einer übrig: der 15-jährige Angus (Dominic Sessa). Ein guter Schüler, der aber mit seinem Verhalten bei Kollegen und Lehrern aneckt. Zu ihnen gesellt sich die Köchin Mary (Da’Vine Joy Randolph), deren Sohn kürzlich im Vietnamkrieg umgekommen ist. Aus einer Zweckgemeinschaft entsteht bald ein inniges, freundschaftliches Team.

The Holdovers Eisbahn Paul Giamatti Dominic Sessa
Im Ausgang: Dominic Sessa und Paul Giamatti

«The Holdovers» ist wie ein kalter Winterabend am Kamin. Trotz warmer Herzlichkeit und feinem Witz blendet der Film aber die harsche Realität seiner Figuren nie aus. Regisseur Alexander Payne, der erst zum zweiten Mal kein eigenes Drehbuch verfilmt, flechtet mit Fingerspitzengefühl ernste Themen in sein Werk ein. Von Verlust, über Alkoholismus zu psychischen Erkrankungen. Immer mit Respekt statt Schockwirkung.

The Holdovers trinken Whiskey und schauen Gameshows

Die Geschichte lebt von mehrschichtigen Figuren. Paul nervt sich über Schulpolitik, trinkt zu viel Jim Beam und verkriecht sich gerne in Romanen. Angus ist ein Grossmaul, aber einsam. Dass sein Vater in einer Klinik ist, vertraut er niemandem an. Und Mary steht vor der ersten Weihnachten ohne ihren Sohn. Auch sie greift zum Alkohol. Und lenkt sich mit seichten Gameshows ab.

Das würde als Stoff für ein schweres Drama taugen. Doch Drehbuchautor David Hemingson geht besonders subtil vor und lässt Genrekonventionen hinter sich: Bedeutungsschwere Monologe fehlen, stattdessen sind es kleine Feinheiten, die die Figuren Stück für Stück nahbarer machen. Das weckt Neugierde. Und erhöht nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit dieser weihnachtlichen Tragikomödie.

The Holdovers Büro Paul Giamatti
Gibt schlechte Noten: Paul Giamatti

«The Holdovers» versteht, dass die winterlichen Feiertage für manche Menschen kein Grund zur Freude sind. Bei Mary mag dies am Offensichtlichsten sein. Weil der verstorbene Sohn fehlt, wird das Fest der Liebe zu Tagen der Trauer. Doch auch auf die anderen Figuren trifft es zu: Angus ist an Weihnachten bei Mutter und Stiefvater unerwünscht. Und Paul hat schlicht niemanden, der mit ihm feiern will.

Filmemacher Payne hat einen perfekten Cast zusammengestellt. Giamatti spielt den mürrischen Lehrer mit Bravour. Und zeigt in einem unsympathischen Miesepeter den gutherzigen, verletzten Menschen. Randolph überzeugt ebenso mit einer äusserst würdevollen Darstellung der trauernden Köchin. Beide Leistungen wurden soeben mit einem Golden Globe ausgezeichnet.

Neuentdeckung ist Dominic Sessa. Mit viel Lust und noch mehr Charisma spielt er den unberechenbaren Spitzenschüler. Dabei scheut er sich nicht, Verletzlichkeit zu zeigen. Dass «The Holdovers» seine erste Spielfilmrolle ist, merkt man nie. Er kann mühelos mit seinen erfahrenen Kollegen mithalten.

Trailer von «The Holdovers»

Der Weihnachtsfilm als Genre steht nicht für Qualität. Das war schon früher so und gilt auch im Streaming-Zeitalter. Immer wieder aber entstehen zwischen all dem vergessenswerten Kitsch wertvolle Werke, die ihre Zeit überdauern. Möglich, dass «The Holdovers» dereinst im gleichen Atemzug mit «It’s a Wonderful Life» oder «The Apartment» erwähnt wird.

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