Vor lauter Hype um den neuen Bond-Knaller «No Time to Die» ist die Veröffentlichung der Netflix-Produktion «The Guilty» fast untergegangen. Diese ist in vielerlei Hinsicht ein Anti-Bondfilm. Der Streaming-Thriller spielt nicht vor traumhafter Kulisse, sondern in einem öden Büro. Und statt mit einer Walther PPK kämpft der Filmheld mit einem Sennheiser-Headset für eine bessere Welt.
Wobei Held der falsche Ausdruck ist. Jake Gyllenhaal spielt den Polizisten Joe, der zum Dienst am Notruf-Telefon verdonnert worden ist. Er ist ein gebrochener Mann, unmotiviert und schnell gereizt.
Alles ändert sich, als Emily (Riley Keough) am anderen Ende der Leitung ist. Schluchzend und panisch erzählt sie ihm, dass sie entführt werde. Darauf mutiert Joe vom gelangweilten Bürolisten zum übereifrigen Helfer. Er will die Frau am Telefon retten – selbst wenn er dabei seine Kompetenzen überschreitet.
«The Guilty» ist ein packendes Psycho-Spiel und eine starke Charakterstudie. Mit seiner Ungeduld, seiner unhöflichen Hartnäckigkeit und seinen Wutausbrüchen ist Joe kein Sympathieträger. Und dennoch schafft er es schnell den Zuschauer für sich zu gewinnen.
«The Guilty» orientiert sich am Original
Die Netflix-Produktion basiert auf dem gleichnamigen dänischen Film von 2018. An dessen Konzept hat «Training Day»-Regisseur Antoine Fuqua nichts geändert. Die 90 Filmminuten spielen sich primär in einem Bürogebäude ab. Die Dialoge sind fast ausschliesslich Telefonate.
Angepasst wurde das Setting – das Remake spielt während der Waldbrand-Saison in Kalifornien – und die Backstory der Hauptfigur. Dadurch ist die US-Version etwas dramatischer, auch wenn sie nicht auf ganz so dunklen Pfaden wandelt wie das Original. Davon abgesehen hat das Drehbuch von «True Detective»-Schöpfer Nic Pizzolatto wenig Neues zu sagen.
Remakes für den US-Markt sind schwierig. Die einen entschärfen für das amerikanische Publikum ihr Werk so stark, dass es seinen Reiz komplett verliert – wie etwa «The Vanishing» von George Sluizer. Andere heben den Stoff auf ein neues Level und gewinnen damit einen Oscar («The Departed» von Martin Scorsese). «The Guility» liegt dazwischen.
Ist das sehenswert? Wer das Original noch präsent hat, braucht keine Neuauflage. Schlecht ist der Netflix-Film freilich nicht.
Das Script legt zügig los und lässt dem Zuschauer kaum Verschnaufpausen. Und Gyllenhaal brilliert mit einer nervenaufreibenden Performance. Aber auch Keough und Peter Sarsgaard sorgen am anderen Ende der Leitung für den nötigen Realismus.
In vielen Belangen aber ist der Film unauffällig. Bilder und Musik dienen dem Zweck, mehr nicht. Selbst Action-Experte Fuqua hält sich hinter dem Regiepult bewusst zurück. Er weiss genau: «The Guility» ist Gyllenhaals Show.