The Boy and the Heron (2023)

Alternde Regisseure beherrschen derzeit das Kino: Gleichzeitig locken Martin Scorsese (81), Ridley Scott (85) und Ken Loach (87) mit neuen Werken Besucher ins Lichtspielhaus. Zu ihnen gesellt sich nun der 82-jährige Hayao Miyazaki. Mit seinem jüngsten Animationsfilm «The Boy and the Heron» knüpft er an vergangene Grosstaten an. Ein zauberhaftes Abenteuer für (fast) die ganze Familie, kleiner Schwächen zum Trotz.

Japan 1943: Während eines Luftangriffs auf Tokio verliert der zwölfjährige Mahito seine Mutter. Der Vater, Manager einer Munitionsfabrik, heiratet kurz darauf die Schwester seiner verstorbenen Ehefrau. Und zieht mit ihr, seinem Sohn und den Bediensteten in ein Haus aufs Land. Dem kleinen Mahito fällt dieses neue Leben schwer. Er trauert. Und mit der neuen Partnerin seines Vaters versteht er sich nicht.

In der Nähe des Anwesens wohnt ein frecher, sprechender Graureiher. Mutter lebe noch, sagt der dem Buben. So lockt der Vogel Mahito in einen verlassenen Turm, der sich unweit des Hauses befindet. Statt seiner Mutter findet der Junge eine unbekannte Welt voller Wunder und Gefahren. Und der Graureiher stellt sich als Mann im Vogelkleid heraus.

The Boy and the Heron Mahito Maki Grey Heron
Der Graureiher ist eigentlich ein Mann.

«The Boy and the Heron» – auch «Der Junge und der Reiher» genannt – ist typisch für Regisseur Hayao Miyazaki und das Studio Ghibli. Er erschafft fantasievolle Welten, die auch erwachsene Zuschauer ins Staunen bringen: Fleischfressende, riesige Wellensittiche. Eine junge Frau, die Feuer kontrolliert. Und Menschen, die sich verflüssigen. Logik spielt eine untergeordnete Rolle, das Abenteuer steht im Vordergrund.

Detaillierte Ökosysteme

Die irrwitzigen Ideen sind liebevoll umgesetzt und bis ins kleinste Detail ausgereift. Der Filmemacher kreiert ganze Ökosysteme, die den unseren ähneln und doch anders sind. So fressen Pelikane in der unbekannten Welt nicht Fische, sondern kleine fliegende Kreaturen. Aber nur deshalb, weil das Meer kein Futter mehr hergibt. Eine reale Bedrohung: rund ein Drittel der Fischbestände weltweit sind derzeit überfischt. Umweltschutz war seit jeher Teil der Ghibli-Filme. Miyazaki macht hier keine Ausnahme.

Der Film steigt rasant ein, nimmt sich dann aber Zeit, um den Zuschauer in das Leben von Mahito einzuführen. Das kann junge Kinogänger langweilen. Ab dem zweiten Drittel ist damit Schluss: in der neu entdecken Welt gewinnt «The Boy and the Heron» deutlich an Fahrt. Sein Tempo hält bis zum Schluss an. Für die ganz kleinen Zuschauer ist der Film ohnehin nicht geeignet: Figuren wie der menschliche Reiher und die riesigen Wellensittiche sind Stoff für Albträume. Die Altersfreigabe ab 12 Jahren scheint angebracht.

Bildstark: Trailer zu «The Boy and the Heron»

«The Boy and the Heron» erzählt aus der Perspektive eines trauernden Kindes. Und vom Stillstand, der der Tod eines geliebten Menschen auslöst. Mahitos Gedanken richten sich nicht nach vorn, sondern zurück. Auch wenn er den Lügen des Reihers nicht glaubt, folgt er ihm in den geheimnisvollen Turm. Tief in ihm steckt ein Funken Hoffnung, seine Mutter wiederzusehen. Ganz losgelassen hat er noch nicht. Das passt gut zu Miyazaki, der eigentlich bereits vor zehn Jahren in Ruhestand gehen wollte.

Mahito ist verschlossen und wirkt dadurch etwas eindimensional. Für das Studio Ghibli eine bekannte Kritik. Vordenker Miyazaki ordnet nicht nur die Logik, sondern auch die Protagonisten dem grossen Abenteuer unter. Doch das stört kaum. Mahitos Gefühlswelt ist ohne viele Worte oder Gesten nachvollziehbar. Das Gesamtbild stimmt. «The Boy and the Heron» bleibt noch lange nach dem Kinobesuch im Hinterkopf hängen.

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