Tár (2022)

Sechzehn Jahre war es um Filmemacher Todd Field still. Mit «Tár» kehrt er nun auf die Grossleinwand zurück. Das komplexe Porträt über eine fiktive Dirigentin besticht mit starken Bildern, einer noch stärkeren Hauptdarstellerin und liefert wichtige Denkanstösse zur überhitzten Debatte um die sogenannte Cancel Culture.

Lydia Tár (Cate Blanchett) ist auf ihrem schöpferischen Höhepunkt. Als Dirigentin der Berliner Philharmoniker geniesst sie in der Welt der klassischen Musik höchstes Ansehen. Doch ihr blinder Ehrgeiz und ihr Streben nach Perfektion wird ihr bald zum Verhängnis.

Autorenfilmer Field nimmt sich 158 Minuten Zeit. Minutiös tastet er sich Szene für Szene an seine Hauptfigur heran. Das Resultat ist eine mehrschichtige, hochrealistische Charakterstudie. Künstlerin Tár lässt sich alles andere als leicht kategorisieren.

Eine Ikone: Lydia Tár (Cate Blanchett)

Graustufen sind wichtig. Das zeigt Field schon früh, wenn Tár mit Studenten über grosse Komponisten debattiert. Ist es legitim, deren Werke aufgrund von Fehlverhalten zu ignorieren? Für die Dirigentin, deren Leben sich fast ausschliesslich um Musik dreht, ist der Fall klar: Nein. Diese Meinung teilen nicht alle im Saal.

Ein starkes Comeback

Field liefert für die vergiftete Debatte um Cancel Culture viel Stoff, an dem sich Befürworter und Gegner reiben können. Vor allem aber macht er deutlich, dass die Thematik oft komplexer ist als angenommen. «Tár» bezieht keine eindeutige Position, die Zuschauer müssen sich ihre eigene Meinung bilden.

Fernab von Politik ist Fields Comeback starkes Kino. Der US-amerikanische Filmemacher hat nicht nur eine mehrschichtige Hauptfigur erschaffen, sondern weiss auch sein Medium für sich zu nutzen. «Tár» überwältigt visuell und packt mit einem perfekt eingesetzten, bombastischen Klassik-Soundtrack. Subtile Horrorelemente runden das Filmerlebnis perfekt ab.

Atemberaubend: Trailer zu «Tár».

Doch erst Cate Blanchett in Höchstform hievt «Tár» in die Meisterklasse. Ihr Schauspiel hat eine Sogwirkung, die erst mit dem Abspann wieder nachlässt. Ob ein feines Zucken der Augenlider oder ein unkontrollierter Wutausbruch, nichts ist hier überzeichnet. Die erstklassige Performance lässt darüber hinwegsehen, dass Field sein Drehbuch an einigen Stellen hätte kürzen können, ohne die Wirkung seines Werks zu schmälern.

Selbst ohne Wissen über klassische Musik nimmt der Film den Zuschauer irgendwann komplett für sich ein. Nur gute Kunst kann das. Fields Rückkehr auf die Grossleinwand ist mehr als gelungen. «Tár» gehört zum Besten, was das Kino derzeit zu bieten hat. Die sechs Oscar-Nominierungen kommen nicht von ungefähr.

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