Sundown (2021)

Teilnahmslos dümpelt Neil (Tim Roth) auf der Luftmatratze im Infinitypool. Die Sommerwärme im paradiesischen Acapulco lässt ihn kalt. Weder seine Familie noch das Personal im Luxushotel können ihn aufheitern. «Sundown» beginnt wie viele Dramen, wird aber mit jeder Minute Laufzeit unberechenbarer.

Das Klischee der unzufriedenen Familie endet, als Alice (Charlotte Gainsbourg) erfährt, dass ihre Mutter verstorben ist. Zusammen will die Familie zurück nach London. Doch Neil macht am Flughafen kurz vor dem Check-in einen Rückzieher.

Er habe seinen Pass vergessen, sagt er. Also reist Neil wieder nach Acapulco zurück. Dort, wo er seine Ruhe haben kann.

Haben mehr Spass: Alice (Charlotte Gainsbourg) und ihre Kinder.

Es wirkt teils komödiantisch wie der gutbetuchte Brite in der mexikanischen Stadt vor sich hinlebt. Seine Teilnahmslosigkeit sorgt aber ebenso oft für Unverständnis. Neil bleibt emotionslos, selbst wenn vor seinen Augen junge Gangster einander niederstrecken. Kurz schaut er auf, ehe er seinen Blick wieder dem Meer zuwendet.

«Sundown» nimmt unvorhersehbare Abzweigungen

Auf sich alleine gestellt, in einem schäbigen Hotel und unter einfachen Menschen, kommt bei dem Protagonisten wieder sowas wie Lebensfreude auf. Doch wenn man glaubt, den Film verstanden zu haben, nimmt der mexikanische Autorenfilmer Michel Franco eine unvorhersehbare Abzweigung.

«Sundown» ist eine Charakterstudie, gespickt mit Elementen von Hitchcock-Thrillern. Zwar fürs Arthouse-Kino gedacht, wird der Film dadurch auch für ein breites Publikum interessant. Zumal er zügig voranschreitet und mit einer kurzen Laufzeit keinen Raum für Durchhänger hat.

Franco hat sein Werk zurückhaltend inszeniert. Die Szenen sind kurz und aufs Wesentliche fokussiert, die Bilder dank viel Naturlicht realistisch, Score und Soundtrack fehlen gänzlich. Keine Spielereien, keine Melodramatik. Nichts lenkt den Zuschauer vom Kernstück ab: den Figuren.

Der Filmemacher hat mit Tim Roth einen fantastischen Hauptdarsteller engagiert. Roth, der meist eher auffällige Figuren mimt, brilliert in der Rolle des ruhigen, eigenwilligen und unberechenbaren Neils. Die reduzierte Mimik, der leere Blick, selbst die gemächliche Gangart: alles, was der Schauspieler tut, macht die Figur auf der Leinwand lebensnaher. Und doch kann man ihn nicht lesen.

Auf der anderen Seite des Spektrums steht Charlotte Gainsbourg, die ihren Emotionen erneut freien Lauf lässt. Kaum jemand leidet auf der Leinwand so gut wie sie. Ihr Spiel ist intensiv und doch immer glaubwürdig. 

Schade nur, dass Iazua Larios der Figur von Berenice nicht mehr Farbe geben darf. Die Rolle ist schwach geschrieben und bleibt durch den Film ein blasses Anhängsel von Neil. Auf ihre Absichten und Gefühle wird nie eingegangen. Das widerspricht dem Filmemacher, der eigentlich sonst auf hohe Authentizität setzt.

Vielleicht will Franco uns damit etwas über Kapitalismus und Ausbeutung sagen. Ich glaube aber, «Sundown» ist simpler. Schlussendlich geht es um einen Mann, der entschieden hat, wo er den Sonnenuntergang sehen will. Nicht im regnerischen London.