Animationsfilme von Pixar hatten schon immer den Anspruch mehr zu sein. Sie wollen Kinder und Erwachsene gleichermassen ansprechen. «Soul» macht da keine Ausnahme. Allerdings hatte ich oft das Gefühl, der Film richte sich eher an ein erwachsenes Publikum.
Hauptfigur ist der New Yorker Musiklehrer Joe Gardner (wunderbar eingesprochen von Jamie Foxx). Sein Job gefällt ihm nicht wirklich, er träumt von einer Karriere als Jazzpianist. Und diese scheint in Griffnähe, als ihm sein ehemaliger Schüler Curley (Roots-Schlagzeuger Questlove) einen Platz in seiner Truppe anbietet. Doch dann geschieht etwas Unerwartetes: Joe fällt in einen Schacht und stirbt.
Wir sehen Joes Seele, die kurz davor ist, über ein Förderband ins Jenseits zu gelangen. Doch das will sie nicht akzeptieren, nicht so kurz vor dem Durchbruch als Musiker. Sie springt vom Förderband und landet im sogenannten Davorseits. Das ist der Ort, indem die neuen Seelen leben.
Bevor diese auf die Erde kommen, müssen sie ihre «Funken» finden. Dafür gibt es im Davorseits Mentoren. Das sind Seelen von grossen Persönlichkeiten, die verstorben sind. Da jetzt auch Joes Seele hier ist, hält man sie ebenfalls für einen Mentor. Und sie kriegt ausgerechnet die Seele 22 zugeordnet, die nicht auf die Erde kommen will.
«Soul» ist überraschend komplex
Damit sind wir inmitten des ersten Akts. Joes Seele tut alles, um wieder weiterleben zu dürfen. Das gelingt ihr auch – wenn auch anders als erhofft.
«Soul» ist für einen Pixar-Film überraschend komplex. Die Figuren müssen viel erklären. Kein Wunder: Nicht nur springt die Geschichte zwischen drei Dimensionen hin und her, auch können die Seelen fremde Körper bewohnen. Das sorgt für viele komische und rührende Momente, doch das Hin und Her dürfte gerade die kleinen Zuschauer überfordern.
Von der Thematik her ist «Soul» eher ein Erwachsenenfilm. Die Regisseure Pete Docter und Kemp Powers stellen die Frage, was das Leben lebenswert macht. Für Hauptfigur Joe ist zu Beginn der Fall klar: Nur als Jazzmusiker wird er richtig glücklich sein. Über die Beförderung zum Vollzeit-Musiklehrer freut er sich deshalb nicht.
Schöne Musik, schöne Bilder
Ist Joes Haltung richtig? Je länger «Soul» läuft, desto mehr stellt der Hauptprotagonist – der erste schwarze in einem Pixar-Film – seine eigene Position infrage. Das geschieht auch durch 22, die einfach nicht ihre Leidenschaft finden will – oder kann.
Auch wenn das Grundthema existentialistisch ist, richtig tief bohrt «Soul» nicht. Der Film liefert die richtigen Dankanstösse, doch die Schlussfolgerung ist zu simpel. Als Wiedergutmachung gibt es dafür ein schönes, herzerwärmendes Ende.
Wunderschön ist «Soul» auch optisch. Die Erde ist reich an liebevollen Details, mit viel Licht und Schatten. Der Film zeigt ein zauberhaftes Stadtbild, das selbst New-York-Romantiker Woody Allen nicht besser hinkriegen würde. Das Davorseits ist eine sanfte Zuckerwatten-Welt, im Jenseits setzen Docter und Powers hingegen auf wuchtige Bilder und starke Kontraste. Dabei musste ich unweigerlich an Stanley Kubricks Meisterwerk «2001: A Space Odyssey» denken. Schade, dass «Soul» – als erster Pixar-Spielfilm überhaupt – wegen der Covid-19-Pandemie nie im Kino gezeigt wurde.
Immer passend ist die Musik. Die schönen Jazz-Melodien in New York stammen aus der Feder von Pianist Jon Batiste. In den beiden abstrakten Dimensionen pulsieren hingegen Elektro-Sounds von den Industrial-Künstlern Trent Reznor und Atticus Ross, die sonst David-Fincher-Filmen den nötigen Grundton geben.
«Soul» ist ein schöner Film mit viel Herz und Humor. Würde er nicht ab und zu über die eigene Komplexität stolpern, spielte er in der Pixar-Königsklasse mit «Toy Story» und «Ratatouille». Auch so scheint der Oscar als bester Animationsfilm in greifbarer Nähe.