Silence (2016)

Was ist ein typischer Film von Martin Scorsese? Zu oft wird der Meister-Filmemacher auf Gangster-Epen reduziert. Dabei ist der New Yorker weit vielseitiger. Mit «Silence» beweist er das erneut eindrücklich: ein monumentales Drama über zwei portugiesische Priester, die sich Mitte des 17. Jahrhunderts nach Japan aufmachen.

Um «Silence» zu verstehen, lohnt sich ein kurzer Exkurs in die Geschichte: Mit dem Vertrag von Tordesillas wurde 1494 Portugal die «Nutzung» Japans zugesprochen. Portugiesische Jesuiten reisten daraufhin zum Inselstaat, wo sie häufig als Übersetzer tätig waren. Dabei wurden viele einfache Japaner zu Christen bekehrt. Unter Alleinherrscher Tokugawa Ieyasu änderte sich alles. Er schottete das Land wieder ab und verbot das Christentum. Christen mussten konvertieren – oder wurden gefoltert und getötet.

In diesem Klima reisen die Jesuiten Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield) und Francisco Garupe (Adam Driver) nach Japan. Von Idealismus und Überzeugung angetrieben wollen die beiden den prominenten Priester Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) ausfindig machen, der seinen Glauben abgelegt haben soll. Vor Ort stossen sie auf Angst und Terror.

Liam Neeson hat von seinem Glauben abgeschworen.

Für Katholik Scorsese ist «Silence» – sein dritter Film über Religion – ein persönliches Werk. Über zwei Jahrzehnte versuchte er, die Geschichte auf die Leinwand zu bringen. Er scheiterte an den Ansprüchen an sich selbst, aber auch an der Finanzierung. Die Studiobosse sollten Recht behalten. Der Nachfolgefilm des beliebten «The Wolf of Wall Street» war an den Kinokassen ein Flop.

«Silence» ist ein epischer Film

Das sagt aber nichts über die Qualität aus. Scorsese hat sich viel vorgenommen und viel erreicht. «Silence» ist ein fast dreistündiges Epos, das Grundsatzfragen stellt. Wie soll man an Gott glauben, wenn seine Präsenz fehlt? Welche Opfer sind für Religion zulässig? Und ist es legitim, andere Kulturen vom eigenen Glauben überzeugen zu wollen? Die Geschehnisse lassen je nach Blickwinkel unterschiedliche Interpretationen zu, was eine grosse Stärke des Films ist.

Die Buchverfilmung des Romans von Shûsaku Endô wird aus der Perspektive der Jesuiten erzählt, wodurch eine Einseitigkeit entsteht. Von einem simplen Gut-Böse-Schema ist «Silence» aber weit entfernt. Priester Rodrigues, der sich zur Hauptfigur entwickelt, sieht sich der Wahrheit verpflichtet. Für seine Überzeugungen nimmt er Menschenleben in Kauf. Dabei zieht er immer wieder Parallelen von sich zu Jesus. Ob der auch so gehandelt hätte?

Die Folter-Szenen in «Silence» sind schwer anzusehen.

Der Stoff ist intensiv. Und Scorsese beschönigt nichts. Die Folter-Szenen sind unangenehm realistisch – aber notwendig, um die Tragik der Situation zu verdeutlichen.

Sehr starke Bilder

Optisch ist der Film eine Wucht. Die Oscar-nominierte Kameraarbeit von Rodrigo Prieto sticht ins Auge. Wunderschöne, natürliche Panoramaaufnahmen sorgen für eine meditativ-ruhige Atmosphäre, die mich immer wieder an Werke von Terrence Malick erinnert hat. Gleichzeitig heben symmetrische Szenenbilder die ruhige Schönheit Japans hervor (obwohl der Film in Taiwan gedreht wurde).

So stark wie die Kameraarbeit ist Geschichte leider nicht. Im letzten Drittel fühlt sich «Silence» stellenweise repetitiv an, wodurch der Film etwas schwerfällig wird. Auch das Schauspiel überzeugt nicht komplett. Während die japanischen Darsteller gefallen – insbesondere Yôsuke Kubozuka, der mit Kichijiro eine Judas-ähnliche Figur spielt – fallen die US-Stars etwas ab. Adam Driver, Andrew Garfield und Liam Neeson überzeugen zwar mit Mimik und Körpereinsatz, doch ihr portugiesischer Akzent wirkt hölzern. Das passt nicht ganz zu einem so bedeutungsvollen Film.

Vielleicht hätte das Epos mit unbekannten, südeuropäischen Hauptdarstellern besser funktioniert. Die Kinosäle hätte aber auch das nicht gefüllt. Schade. «Silence» hätte mindestens so viel Aufmerksamkeit verdient wie «The Wolf of Wall Street».

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