Retour à Séoul (2022)

Erst jugendliche Leichtigkeit, dann schwere Existenzkrise. «Retour à Séoul» ist ein komplexes Drama über Herkunft, Identität und Zugehörigkeit. Ein anspruchsvolles, aber äusserst packendes Filmerlebnis für Liebhaber des Weltkinos.

Die junge Frédérique Benoît (Park Ji-min) reist für einen zweiwöchigen Urlaub nach Seoul. Es ist eigentlich eine Rückkehr: Die Pariserin ist in Korea geboren, wurde als Kleinkind aber von einem französischen Ehepaar adoptiert. Ihre biologischen Eltern kennt Frédérique nicht. Diese will sie nun suchen.

Auch wenn die toughe Frédérique es nicht zugeben will, so hadert sie mit ihrer Identität. Statt sich ihrer Probleme anzunehmen, reagiert sie jugendlich-trotzig. Sie trinkt, tanzt und lacht sich ihre Sorgen weg. Natürlich erfolglos.

Frédérique Benoît (Park Ji-min) Return to Seoul
Auf der Suche: Frédérique Benoît (Park Ji-min)

Der koreanischstämmige französische Autorenfilmer Davy Chou hat mit «Retour à Séoul» ein kleines Meisterwerk geschaffen. Einfühlsam und doch nüchtern nähert er sich dem Thema Identität an. Dabei verzichtet er auf Klischees und präsentiert realistische, höchst ambivalente Figuren.

Komplett unberechenbar

Frédérique trifft teils Entscheide, die befremdlich wirken. Doch sind sie schlussendlich allesamt Symptome einer tiefen Krise. Und sie machen «Retour à Séoul» zu einem besonders attraktiven Filmerlebnis: unvorhersehbar von der ersten bis zur letzten Einstellung.

Chou zeigt nüchtern und urteilsfrei auf, was eine Adoption in Menschen auslösen kann. Frédérique hadert mit ihrer Identität, während ihr biologischer Vater mit Schuldgefühlen kämpft. Doch schuldig ist hier niemand. Sie sind alle Opfer der Umstände.

Identitätskrise: Trailer zu «Retour à Séoul»

Der Autorenfilmer Chou erzählt «Retour à Séoul» in drei Etappen über insgesamt acht Jahre. Das mag bei einem knapp zweistündigen Film auf dem Papier überladen wirken, funktioniert aber perfekt und ist für das Verständnis zentral. Nur über die Zeit lässt sich die Tragweite dieser existenziellen Reisegeschichte aufzeigen.

Auch handwerklich überzeugt der Filmemacher. Mit vielen Nahaufnahmen kreiert er Intimität. Und dennoch gewährt er dem Zuschauer die nötige Distanz, damit dieser über das Einzelschicksal hinaus das grosse Ganze sehen kann. Ein Spagat, an dem so manch andere Regisseure scheitern.

Getragen wir «Retour à Séoul» aber von einer grandiosen Leistung von Hauptdarstellerin Park Ji-min. Jede kleine Emotion bringt sie nuanciert und unangestrengt auf die Leinwand. Ob Wutanfälle oder herzliche Lacher: gestellt wirkt nichts. Auch die Nebendarsteller überzeugen, insbesondere Oh Kwang-rok als Frédériques biologischer Vater.

Die französisch-deutsch-belgische Koproduktion bleibt auch Tage nach dem Kinobesuch im Hinterkopf hängen. Ein gutes Zeichen. «Retour à Séoul» ist schon heute ein Kandidat für den Film des Jahres.

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