Mit erhobenem Haupt und siegessicherem Lächeln fährt Mikey (Simon Rex) auf seinem Fahrrad durch die dunklen Strassen. Kindlich naiv oder hoffnungslos optimistisch? Unklar. «Red Rocket» stellt eine ambivalente Figur ins Zentrum. Und entmystifiziert dabei beiläufig den amerikanischen Traum.
Mikey will nach Jahrzehnten in Kalifornien wieder in seiner Heimatstadt Texas City Fuss fassen. Doch der Mittvierziger hat weder Bleibe noch Arbeit. Ein Dach über dem Kopf erhält er nach etwas Überzeugungsarbeit von seiner Ex-Frau. Die Jobsuche verläuft ernüchternder, Mikey erhält nur Absagen. Niemand will den alternden Pornodarsteller anstellen. Also hält er sich wie in seiner Jugend als Gras-Dealer über Wasser.
Autorenfilmer Sean Baker fokussiert sich mit «Red Rocket» erneut auf Figuren am Rande der Gesellschaft. Vorurteilsfrei porträtiert er einen Mittvierziger, dessen Zeit vor über zwanzig Jahren stehen geblieben zu sein scheint. Mit kindlicher Naivität träumt Mikey von der glorreichen Rückkehr in die Pornobranche. Dass er sich in die 17-jährige Strawberry (Suzanna Son) verguckt, passt irgendwie.
Der Zuschauer begegnet der Hauptfigur mit Ambivalenz. Mikey verhält sich opportunistisch, oft eigennützig und unmoralisch. Und dennoch sind seine Umstände häufig nicht selbst verschuldet. Gesellschaft und Staat haben – oder wollen – ihn vergessen.
Keine Heldengeschichten in «Red Rocket»
«Red Rocket» zeigt eine kleine Gemeinschaft, die unweit von texanischen Ölfeldern in Frieden leben will. Geld fehlt an allen Ecken: Dafür gibt es Langzeitarbeitslosigkeit, Prostitution und Trickbetrügereien. Gute Seele des Ortes ist eine Drogendealerin, die im Hinterhof mit ihren Kindern Gras verkauft.
Doch präsentiert Baker Menschen mit Seele, Ehre und Stolz, die trotz tragischer Umstände nicht aufgeben. Auch wenn es so klingt, kitschig ist daran nichts. Niemand tanzt sich das Leid von der Seele, Momente der Erleuchtung fehlen.
Stattdessen ist es ein ungewöhnlicher, menschenfreundlicher Realismus, der die Leinwand ausfüllt. Der Regisseur nutzt 16-Millimeter-Analogfilm, natürliches Licht und verwackelte Handkameras, um das Geschehene unverzerrt einzufangen. Man sieht «Red Rocket» das kleine Budget von rund einer Million Dollar an. Dadurch wirkt der intime Stoff noch lebensechter.
Baker setzt erneut auf viele Laiendarsteller, doch das fällt nicht auf. Positiv sticht hingegen Simon Rex heraus. Er spielt den Mittvierziger mit Teenie-Enthusiasmus mit der nötigen Ernsthaftigkeit, um der Figur Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Und sorgt mit seinem Spiel für viele herzhafte Lacher.
Der verstorbene Filmkritiker Roger Ebert bezeichnete Filme einst als Empathie-Maschinen. «Red Rocket» ist ein perfektes Beispiel dafür. Nicht nur können wir damit in eine fremde Welt eintauchen. Der Film macht, dass wir unsere eigenen Werte und Vorurteile hinterfragen.