Mit «Piggy» hat die spanische Filmemacherin Carlota Pereda ein bildstarkes und tiefgründiges Horror–Drama abgeliefert, das alle grausamen Facetten von Mobbing aufzeigt. Eigentlich ein perfektes Lehrstück für den Schulunterricht – wäre der Film nicht so blutrünstig.
Metzgertochter Sara (Laura Galán) lebt abgelegen in einem kleinen Dorf in Spanien. Freunde hat die Teenagerin keine und ihre Familie scheint sich wenig für sie zu interessieren. Von den gleichaltrigen Mädchen wird sie wegen ihres Übergewichts gemobbt. Sie nennen sie Piggy. Saras Leben ändert sich plötzlich, als die Mobberinnen entführt werden.
«Piggy» basiert auf dem gleichnamigen Kurzfilm, den Pereda vor vier Jahren veröffentlicht hat. Mit dem 13-minütigen Werk hat sie einen viralen Hit gelandet. Der Film wurde auf Youtube bisher über 13 Millionen Mal angeschaut. Das Thema bewegt die Zuschauer offenbar, wie ein Blick in die Kommentarspalte verrät.
Während der vergleichsweise simple Kurzfilm mit einer zynischen Note endet, gräbt die Filmemacherin für ihr Spielfilmdebüt deutlich tiefer. «Piggy» schafft dabei gekonnt die Balance zwischen fundiertem Drama und nervenaufreibendem Horrorfilm. Realistisch und mit herzzerreissender Deutlichkeit zeigt die Filmemacherin die Auswirkungen von Mobbing, die weit über den seelischen Schmerz hinausgehen.
«Piggy» mit Horror und Substanz
Sara kämpft mit Einsamkeit, mangelndem Selbstvertrauen und fehlender körperlicher Nähe. Das wirkt sich selbst auf das Zusammenleben mit ihrer Familie aus. Der strengen Mutter, die sie immer noch wie ein Kleinkind behandelt, wagt Sara nicht zu widersprechen. Lieber gibt sie nach, wie sonst auch immer.
Pereda liefert nicht nur ein glaubwürdiges Porträt einer leidenden Teenagerin, sondern weiss auch gekonnt Atmosphäre und Spannung aufzubauen. Das Dorf wirkt so einsam wie Sara selbst, die trockenen Blumen und Bäume zeugen von einer vergangenen Lebendigkeit. Wird es hier dunkel, kommen Urängste auf.
Inhaltlich bewegt sich «Piggy» zwischen dem traurigen Horror-Klassiker «Carrie» und dem australischen Busch-Horror «Wolf Creek». Mit einer visuell klaren Sprache hebt sich die Filmemacherin aber von typischen Genrevertretern ab. Pereda fängt ihre Bilder im klassischen Kleinbildformat ein und gibt so der Geschichte einen klaren Rahmen. Die Szenen sind ruhig inszeniert: was die Kamera einfängt, scheint bewusst platziert.
Bis kurz vor Schluss kommt Peredas Werk ohne Score aus. Die Absenz von Gesang und Melodien ist ein weiteres Stilmittel, um Saras innere Leere und Trostlosigkeit zu unterstreichen. Weniger ist hier eben mehr.
«Piggy» ist ein wichtiger Film. Pereda predigt nicht, sondern verpackt ihre Gesellschaftskritik in einen atmosphärischen und brutalen Horrorthriller. Damit dürfte sie viele Menschen abholen, die sich bisher wenig Gedanken über Fat-Shaming gemacht haben. Nur gute Kunst kann das.