Oppenheimer (2023)

Wenn die Bombe explodiert, wird es ganz still. Eine atemberaubend schöne Feuerkugel nimmt die Leinwand ein. Der grosse, ohrenbetäubende Knall kommt mit Verzögerung. «Oppenheimer» sticht in der Filmografie von Christopher Nolan heraus. Die Geschichte um den Erfinder der Atombombe ist erwachsener, ruhiger und doch intensiver als frühere Werke. Ein Film über einen Wendepunkt für die Menschheit, der ein neues Zeitalter für Nolan einläuten könnte.

Wie der Titel verrät, ist «Oppenheimer» eine Filmbiografie. Er basiert auf dem mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Buch «American Prometheus» von Kai Bird und Martin J. Sherwin und erzählt, wie Physiker J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) im Zweiten Weltkrieg für die USA in Los Alamos die Atombombe entwickelt hat. Die typische Biopic-Formel hält der Film aber nicht ein.

Viele Aspekte aus Oppenheimers Leben schneidet Nolan nur an. Private Beziehungen spielen eine untergeordnete Rolle, Herkunft und Ausbildung ebenfalls. Wie eine Frucht schält der Regisseur seine Hauptfigur, bis er zum Kern vordringt. Eine Herangehensweise, die man sonst von Andrew Dominik kennt. Nolan präsentiert einen brillanten, vom Wissensdurst angetriebenen Mann, der bis zum Lebensende mit Schuldgefühlen kämpfte – ohne ihn zu verherrlichen oder zu verharmlosen. Die Geschichte soll abschrecken, sagte der Regisseur jüngst in einem Interview.

Im Angesicht des Todes: J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy)

Emotionen waren immer Teil von Nolans Erzählungen, meistens aber nur als Element zur Erschaffung von Konflikten. «Oppenheimer» funktioniert anders als etwa «Interstellar». Der britische Regisseur überträgt die Gefühlswelt des Wissenschaftlers ungefiltert und direkt auf den Zuschauer. Er vermischt dabei Zeitebenen und verwässert so die Erzählung. Die Stimmung bleibt trotzdem erhalten, Zuschauer und Oppenheimer verschmelzen. Heisst auch: Wer über das Manhattan Project lernen will, ist mit einem Dokumentarfilm besser bedient.

Wie einst Terrence Malick

«Oppenheimer» ist das Werk eines reifen Filmemachers. Mit der nicht linearen Erzählweise und dem Fokus auf seine Hauptfigur – nicht nur inhaltlich, sondern mit vielen Nahaufnahmen – kommen bei Nolans jüngstem Blockbuster Erinnerungen an den einfühlsamen Autorenfilmer Terrence Malick hoch. Dieser verfilmte zu Beginn seiner zweiten Schaffensphase mit «Der schmale Grat» und «The New World» ebenfalls historische Ereignisse und stellte die Gefühlswelt der Figuren statt die Erzählung in den Mittelpunkt.

So konsequent wie Malick ist Nolan dann nicht. Zu lang verhält sich «Oppenheimer» wie ein politischer Heist-Thriller. Stoff, den man vom Briten erwartet. Politik ist wichtig in der Geschichte des umstrittenen Wissenschaftlers, nimmt aber im Film, der den Menschen dahinter beleuchtet, zu viel Raum ein. Der fehlt anderswo: Die Frauen in Oppenheimers Leben, stark gespielt von Emily Blunt und Florence Pugh, bleiben blass und unnahbar. Schade.

Bombastisch: Trailer zu «Oppenheimer»

Hier zeigt sich die Schwachstelle des Films: Trotz drei Stunden Laufzeit ist «Oppenheimer» mit all seinen Figuren überladen. Jeder einzelnen gerecht zu werden, schafft der Regisseur nicht. Auch eine Reihe talentierter Hollywoodstars hilft nicht. Mit wenigen Sätzen können auch die Besten keinen greifbaren Charakter erschaffen. Weniger wäre hier mehr gewesen. Neben den beiden Frauen hätte vor allem Gegenspieler Lewis Strauss (lustvoll gespielt von Robert Downey Jr.) mehr Substanz verdient.

Und trotzdem holt «Oppenheimer» ab. Vor allem dank einem fantastischen Cillian Murphy in der Hauptrolle. Ehrgeiz, Unsicherheit und Reue lassen sich direkt von seinem Gesicht ablesen. Er ist das emotionale Zentrum des Films. In überwältigenden Bildern eingefangen von Kameramann Hoyte Van Hoytema und untermalt mit einem schweren Score von Ludwig Göransson entsteht so eine Intensität, die Nolan in keinem seiner vorherigen Werke erreicht hat. Die phänomenale Schlusssequenz ist der beste Beweis dafür.

Der britische Filmemacher ist mit «Oppenheimer» von seinem früheren, verkopften Werken einen Schritt weggekommen. Gut so, auch wenn das manche Fans stören dürfte. Mit einem ausgeprägten emotionalen Kern erreicht das Nolan-Kino eine stärkere Wirkung denn je. Hoffentlich bleibt der Brite diesem Kurs treu.

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