Es ist mittlerweile beinahe ein Volkssport, M. Night Shyamalan schlechtzumachen. Und so fallen auch viele Meinungen zu «Old» extrem negativ aus. Damit tut man dem Mistery–Thriller allerdings Unrecht.
Der Film beginnt harmlos. Guy (Gael García Bernal) und Prisca Cappa (Vicky Krieps) reisen mit ihren Kindern Trent (6) und Maddox (11) in ein nobles Ferien-Resort. Vor Ort erzählt ihnen der Hotel-Manager von einem schönen Privatstrand. Den empfehle er nur besonderen Kunden, meint er.
Tags darauf reisen die Vier dorthin. Allein sind sie nicht. Andere Gäste gesellen sich ebenfalls zu ihnen. Die Bucht ist wunderschön, doch die Erholung in weiter Ferne. Erst finden die Urlauber eine Leiche. Und dann stellen sie fest, dass ihre Kinder plötzlich rapide altern.
Die Idee zu «Old» stammt nicht von Shyamalan selbst. Die Story basiert auf dem Comic «Sandburg» von Pierre-Oscar Lévy und Frederick Peeters. Ich kenne das französisch-schweizerische Buch nicht. Doch auch als Film funktioniert der Stoff.
Die Ausgangslage ist gespenstisch. Lange tappen Zuschauer und Protagonisten im Dunkeln. Dann ist «Old» am besten. Shyamalan weiss noch immer, wie man Spannung und Faszination aufbaut. Und schafft es, beides über den grössten Teil der 108 Minuten Spielzeit aufrechtzuerhalten. Erst im dritten Akt wiederholt sich der Film etwas und verliert einen Teil seines Reizes.
«Old» setzt auf starke Bilder
Die Regiearbeit gefällt. Shyamalan verwandelt einen zauberhaften Strand in ein unheimliches Monster – bei Tageslicht. Mit atemberaubenden Kamerafahrten beweist er, dass er noch immer ein Meister seines Fachs ist. Schon das macht «Old» sehenswert.
Das Schauspiel geht in Ordnung. Dass Guy und Prisca kein perfektes Englisch sprechen, ist zu Beginn befremdend. Gleichzeitig aber authentisch – denn so manches internationale Paar verständigt sich in einem Englisch, das simpel und nicht akzentfrei ist.
Die Dialoge in «Old» sind oft einfach, manchmal hölzern. Das lässt sich im Fall des jungen Paars durch sprachliche Hindernisse rechtfertigen. Nicht aber bei den anderen Figuren. Egal mit wie viel Wohlwollen man den Film anschaut: Shyamalan – der den Comic in ein Script verwandelt hat – hätte hier ein paar Stunden mehr investieren müssen.
Einfache Dialoge führen auch dazu, dass manche Protagonisten blass bleiben. Das gilt insbesondere für die Nebenfiguren. Auf Guy und Prisca trifft das glücklicherweise nicht zu. Im Verlauf der Story offenbaren sie glaubwürdig ihre Gefühlswelt.
Kein «Sixth Sense», aber auch kein «Happening»
Ein Drama ist «Old» trotzdem nicht. Der Tiefgang von Shyamalans Frühwerken «The Sixth Sense» oder «Unbreakable» fehlt. Sein jüngster Streifen ist simples, aber unterhaltsames Mistery-Kino – stellenweise mit Horror-Einschlag.
Manche Kritiker ziehen Parallelen zum miesen «The Happening». Dem stimme ich nicht zu. Trotz reichlicher Portion Irrsinn kippt Shyamalan nie ins Lächerliche. Er nimmt die Story ernst, kennt aber ihre Grenzen. Existenzielle Fragen werden keine aufgeworfen.
«Old» beweist erneut, dass Shyamalan seinen kreativen Tiefpunkt überwunden hat. Sein jüngstes Werk ist originell, kurzweilig und spannend. Trotz einiger Fehltritte überwiegt der positive Eindruck. Ich freue mich, den Mistery-Thrilller in ein paar Jahren wieder anzuschauen. Ziemlich sicher wird er mir immer noch genauso gut gefallen.