Mit «Get out» und «Us» hat Jordan Peele das Horror-Genre umgepolt. Weg vom simplen Grusel, hin zu angsteinflössender Gesellschaftskritik. Bei «Nope» ist der Autorenfilmer mit seinen Botschaften auf den ersten Blick zurückhaltender. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber ein Meer an Interpretationsmöglichkeiten.
Es geht um die Geschwister OJ (Daniel Kaluuya) und Emerald «Em» Haywood (Keke Palmer). Nach dem überraschenden Tod ihres Vaters führen sie dessen Ranch weiter, wo dressierte Pferde für Filmproduktionen gehalten werden. Doch das Geschäft läuft schlecht. Und dann taucht eine mysteriöse Wolke über dem Grundstück auf, die nie weiterziehen will.
Mit seinem dritten Spielfilm weitet Peele sein Spektrum aus. Waren seine Erstlinge eindeutig als Horrorfilme zu erkennen, ist «Nope» schwerer einzuordnen. Der Filmemacher lässt den Zuschauer lange im Ungewissen und bewegt sich irgendwo zwischen Western, Drama, Mystery und Science-Fiction. Horror ist nur noch eine weitere Zutat. Dabei hat sich Peele offensichtlich von Steven Spielbergs «Unheimliche Begegnung der dritten Art» und M. Night Shyamalans «Signs» inspirieren lassen.
Ganz so jugendfreundlich wie die beiden Klassiker ist «Nope» aber nicht. Auch wenn der Horror seltener ist als bei seinen vorherigen Werken, ist Peels jüngster Wurf nicht minder nervenzehrend. Was als bedrückend-faszinierendes Familiendrama beginnt, mündet in einigen Schock-Momenten und endet in einem hoch spannenden Showdown.
«Nope» hat viel Interpretationsspielraum
«Get out» handelte von systematischem Rassismus, «Us» von der Mehrklassengesellschaft. «Nope» hingegen lässt mehr Raum für Interpretation. Einige sehen Peels neustes Werk als Kritik am Influencer- und Aufmerksamkeits-Zeitalter, andere als Liebeserklärung an Kino und Popkultur. Sinn ergibt beides.
Ebenfalls stellt der Film die Frage, ob unser Umgang mit Tieren angebracht ist. Da ist der TV-Schimpanse, der plötzlich nicht mehr mitmachen will, und das Pferd, das sich am Filmset nicht wohlfühlt. Die Protagonisten stellen ihre eigenen von Geld getriebenen Bedürfnisse immer höher. Selbst die geheimnisvolle Wolke wollen manche domestizieren und für sich nutzen.
Doch auch ohne Subtext funktioniert Peeles jüngster Wurf auf praktisch allen Ebenen. Im Zentrum stehen zwei fein ausgearbeitete, glaubwürdige und menschliche Figuren. Aller Gegenseitigkeit zum Trotz – oder gerade deshalb – sind der ruhige OJ und die aufmüpfige Em ein wunderbares Geschwisterpaar. Das von zwei Ausnahmetalenten schlicht grossartig gespielt wird.
Ohne Worte nimmt Oscar-Gewinner Daniel Kaluuya die Leinwand bereits mit einem Wimpernzucken ein. Keke Palmer als Gegenpol holt den Zuschauer mit einer leicht schrillen, aber äusserst herzlichen Performance ab. Beide sorgen im fantasievollen Film für die nötige Erdung.
Kamera-Talent Hoyte van Hoytema hält das Spektakel in beeindruckenden Bildern fest. Die atemberaubenden, weiten und kontrastreichen Landschaftsaufnahmen geben der Geschichte und ihren Protagonisten den passenden Rahmen. Der western-angehauchte Score passt gut, auch wenn er nicht mit Genre-Klassikern mithalten kann.
«Nope» ist die Rückkehr des Sommerblockbusters. Er bringt den Zuschauer für zwei Stunden zum Staunen, wie es einst «Der weisse Hai» tat. Peele mag mit seinem jüngsten Streich kein Genre auf den Kopf stellen, bestätigt sich aber erneut als Ausnahmetalent in Hollywood.