«No Bears» ist ein Film grosser Kontraste. Ein international gefeierter Regisseur unter einfachen Dorfbewohnern. Ein freier Geist in einem autoritären Gottesstaat. Mobiles Internet im Lehmhaus. Leichtes Weltkino mit schwerem Kern.
Regisseur Jafar Panahi (er spielt eine fiktionale Version von sich selbst) dreht in einem iranischen Dorf an der Grenze zur Türkei einen Film. Da er das Land nicht verlassen darf, arbeitet er remote. Übers Internet gibt er Crew und Schauspielern Anweisungen, später sichtet er auf seinem Laptop das Material. Ein mühseliger Prozess.
Das ist nicht sein einziges Problem. In dem kleinen Bergdorf, in dem er sich niedergelassen hat, sorgt seine Präsenz für rote Köpfe. Ohne es zu merken, wird er in einen zermürbenden Familien-Kleinkrieg hineingezogen.
Kurz vor der Uraufführung von «No Bears» letztes Jahr in Venedig wurde Panahi zu sechs Jahren Gefängnis verdonnert. Vorwurf: Propaganda gegen das Regime. Der Aufschrei in der internationalen Filmwelt war gross.
Der Wirbel brachte wenig. Erst nachdem der Filmemacher Anfang Jahr in den Hungerstreik getreten war, wurde er freigelassen. Es war nicht sein erster Konflikt mit dem Regime. Seit 2010 ist es Panahi verboten, den Iran zu verlassen. Die Behörden haben ihm zudem ein Berufsverbot auferlegt. Doch nichts hindert ihn daran, weiter Filme zu drehen.
Männer entscheiden über Frauen
«No Bears» beinhaltet autobiografische Elemente, ist aber Fiktion. Mit nüchterner Präzision analysiert der Filmemacher die Rolle der Frau im Iran. Der Streit im Dorf dreht sich um eine arrangierte Ehe: Eine junge Frau hat sich, anders als von den (männlichen) Familienoberhäuptern beschlossen, in einen anderen Mann verliebt als vorgesehen.
Um eine Frau dreht sich auch die Geschichte im Film, den Panahi dreht. Sie handelt von einer Iranerin im Exil in der Türkei, die nach Europa fliehen will. Erzählungen, die das iranische Regime nicht gerne hört. «No Bears» sei kein Film, sondern ein «politisches Spiel», beklagten Vertreter des Gottesstaates.
Panahi geht mit seinem Land hart ins Gericht. Er entlarvt Religion und Tradition als simple und effektive Mittel, um misogynes Verhalten durchzusetzen. Die Männer im Dorf sind zwar höflich und zuvorkommend, stützen aber – oder tolerieren zumindest – ein patriarchalisches System der Angst. Alle fürchten Bären, obwohl keine da sind.
Thematisch schwer, hat «No Bears» manche humorvolle Momente. Der abgebrühte Filmemacher im abgelegenen Bergdörfchen sorgt für manch herzlichen Moment. Despektierlich ist hier nichts. Zu keinem Zeitpunkt wirkt der Film wie eine kalte Abrechnung.
Inszeniert ist das Werk simpel. Die Aufnahmen stammen teilweise aus Fotokameras. Es entsteht so ein nüchternes, aber realistisches Bild – ein Markenzeichen des Filmemachers. Vergleiche mit der verstorbenen iranischen Regielegende Abbas Kiarostami liegen bei «No Bears» auf der Hand. Doch anders als sein ehemaliger Kollaborationspartner erzählt Panahi seine Geschichten viel gradliniger.
«No Bears» ist wichtiges und mutiges Weltkino, aber auch gute und zugängliche Unterhaltung. Ein Spagat, den iranische Filmemacher seit Jahrzehnten besonders gut beherrschen.