Auf den ersten Blick ist «Nightmare Alley» klar als Nachfolger der Fantasy-Romanze «Shape of Water» zu erkennen. Filmsets mit nostalgischem Look, schöne Kostüme und dunkle, aber weiche Bilder. Kein Wunder, wurden beide Filme auch vom selben Kameramann aufgenommen. Doch der erste Eindruck täuscht: Guillermo del Toros neustes Werk ist viel düsterer als sein Vorgänger.
Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs landet Taugenichts Stanton Carlisle (Bradley Cooper) bei einem Wanderjahrmarkt. Dort fängt er als Handlanger an, mausert sich aber schnell zum Teil der Crew. Er unterstützt Wahrsagerin Zeena the Seer (Toni Collette) bei ihren Tricks und inspiriert seine Schausteller-Kollegen zu neuen Ideen. Doch das reicht ihm nicht. Carlisle will mehr und zieht in die Grossstadt.
Zwei Jahre später, mittlerweile sind auch die USA in den Krieg involviert, unterhält er Gutbetuchte als Mentalist. Alles nur Show – doch seine Zuschauer halten die Tricks für real. Erst die geheimnisvolle Psychologin Lilith Ritter (Cate Blanchett) wirft ihn aus der Bahn.
Zwei Welten in «Nightmare Alley»
«Nightmare Alley» zeigt Kontraste. Der Film beginnt in einer skurrilen und etwas gruseligen, aber herzlichen Schausteller-Welt. Ab dem zweiten Akt in der Grossstadt weicht die warme Freundlichkeit kaltem Misstrauen. Sobald die clevere Femme fatale den Takt angibt, wird del Toros Kleinkünstler-Märchen zum Film Noir.
Auch wenn diese Kombination auf dem Papier unpassend wirkt, funktioniert «Nightmare Alley» richtig gut. Regisseur del Toro, der sich einem Roman von William Lindsay Gresham annimmt, nutzt den ersten Akt gekonnt, um Carlisle ein Gesicht zu geben. Aus dem geheimnisvollen Taugenichts wird ein Wortakrobatiker und Menschenleser.
Del Toros Filme sind stets fantasievoll und ein Fest fürs Auge. Und doch gehen sie in der Regel über reines Unterhaltungskino hinaus. «Shape of Water» handelt von bedingungsloser Liebe, «Pans Labyrinth» vom Umgang mit der Grausamkeit des Krieges. «Nightmare Alley» ist weniger eindeutig. Im Mittelpunkt steht ein Mann, der mehr sein will, als er eigentlich ist. Angetrieben von Hochmut und Gier gerät er in einen Abwärtsstrudel – was stellenweise herzzerreissend anzusehen ist.
Hauptdarsteller Bradley Cooper liefert nach «Licorice Pizza» erneut eine beeindruckende Leistung ab. Er mimt den Charmeur, den Scharlatan und den Verlierer perfekt. Sein letzter Auftritt bleibt noch lange in den Knochen sitzen. Wer hätte 2009 gedacht, dass der Hauptdarsteller von «Hangover» zu so was fähig ist? Ich nicht.
Auch die Nebenrollen sind gut besetzt. Rooney Mara gefällt als Carlisles unterdrückte Partnerin Molly und Ron Perlman als Beschützer des Jahrmarktes. Neben Cooper überzeugt insbesondere Richard Jenkins in der Rolle des geheimnisvollen Ezra Grindle.
«Nightmare Alley» macht nicht alles richtig. Die Faszination des ersten Aktes erreichen die restlichen Teile nicht. Und trotz 150 Minuten Laufzeit wirkt die letzte Wendung hastig und dadurch etwas unorganisch. Ein Kinobesuch lohnt sich aber schon des Schauspiels und der magischen Bilder wegen.