Es klinge so, als ob eine Betonkugel in einem Metallbehälter auf den Boden falle. So beschreibt Botanikerin Jessica (Tilda Swinton) das Geräusch, das sie, seitdem sie es gehört hat, nicht mehr loslässt. «Memoria» ist eine meditative Suche nach dem Ursprung dieses Knalls, welche unbemerkt die Grenzen der Wahrnehmung verschiebt.
Neben Zuschauer und Protagonistin hört niemand das dumpfe Pochen, das im sonst so ruhigen Film wie ein Fremdkörper wirkt. Und jeder einzelne Knall hallt nach. Innert Sekunden macht er die idyllische, sommerliche Bergwelt im kolumbianischen Bogotá zu einem unberechenbaren Ort der Suspense.
Mit «Memoria» hat Autorenfilmer und Cannes-Gewinner Apichatpong Weerasethakul erstmals ausserhalb seiner Heimat Thailand gedreht. Die Handschrift bleibt aber unverändert: Sein erster fremdsprachiger Film ist ebenfalls langsames Kino, das den Betrachter in einen angenehmen, tranceähnlichen Zustand versetzt.
Entspannend und furchteinflössend
Das erreicht Weerasethakul durch weiche Bilder mit bewusst gewählten Ausschnitten, ruhige Dialoge, lange Szenen mit seltenen Perspektivenwechseln und ein präsentes Sounddesign. Letzteres macht «Memoria» erst zum richtigen Erlebnis. Einerseits sorgt es für eine wohlige Ruhe, etwa durch flüsternde Windgeräusche oder sanftes Plätschern von Wasser. Andererseits ist da der furchteinflössende Knall, der Zuschauer und Protagonistin regelmässig daran erinnert, dass etwas nicht stimmt.
Bang.
Bang.
Die Lautsprecher beben. Es wird unbequem im Kinosessel.
Im Verlauf des Films wird das laute Pochen häufiger. Jessica glaubt, den Verstand zu verlieren. Mit jedem Knall – über 50 sind es laut dem Branchenblatt Variety – wird «Memoria» ein Stück beunruhigender. Voraussehbar ist nichts. Einzig Weerasethakul weiss, wohin es geht.
Inspiration für das Script fand er in sich. Jahrelang hörte der Filmemacher immer wieder einen lauten Knall. Ärzte sprechen vom «Exploding Head Syndrome», das in der Regel beim Einschlafen auftaucht. Mit der Zeit verschwand das Geräusch. So einfach lässt Weerasethakul seine Protagonistin aber nicht davonkommen.
«Memoria» richtet sich an ein kleines Publikum, das sich auf einen experimentellen Film einlassen kann. Im Gegenzug gibt es einen Kinobesuch mit fast meditativer Qualität, der eher an Ambient-Musik als an klassisches Filmemachen erinnert. Wer drin ist, verliert sich in der Zeit. Dass in den über zwei Stunden nur wenig geschieht, fällt nicht auf.
Das Ende überrascht und dürfte nüchternen Analytikern nicht gefallen. Wer den Film aber nicht nur schaut, sondern sich von ihm einnehmen lässt, akzeptiert das ohne nachzufragen. Das ist die wahre Kraft des Kinos.