Niemand romantisiert Europa besser als amerikanische Regisseure. Richard Linklater hat der alten Welt eine Trilogie gewidmet, Woody Allen gar ein ganzes Jahrzehnt. Pixar macht es ihnen mit «Luca» gleich. Wobei fairerweise gesagt werden muss, dass Regisseur Enrico Casarosa zwar seit Jahrzehnten in den USA lebt, aber in Norditalien aufgewachsen ist.
Die Geschichte von «Luca» ist simpel und im Kern altbekannt. Ein Junge merkt, dass die Welt mehr ist als das, was die Eltern ihm gezeigt haben. Trotzdem ist der neuste Streich von Pixar keine typische Coming-of-Age-Geschichte. Denn Luca ist kein Mensch, sondern ein Seemonster.
Diese leben vor dem beschaulichen ligurischen Städtchen Portorosso im Meer. Was Luca aber nicht weiss: Wenn er aus dem Wasser steigt, nimmt er die Form eines Menschen an. Das findet er durch Zufall heraus, als er Alberto – ebenfalls ein Seemonster – kennenlernt. Schnell entsteht zwischen den (Monster-)Buben eine enge Freundschaft. Doch nachdem die beiden sich mit Giulia – einem gewöhnlichen Menschen – anfreunden, wird die Sache kompliziert. Die Entdeckungsreise in der neuen Welt wird zum Versteckspiel.
Eine einfache Story
«Luca» ist ein typischer Pixar-Film. Erstklassig animiert, berührend, kurzweilig und mit positiver Botschaft. Im Gegensatz zum letztjährigen «Soul» lässt das jüngste Werk der Disney-Tochter kaum Interpretationsspielraum. Es fordert offen Toleranz und Akzeptanz gegenüber jenen, die anders sind. Gut so.
Dadurch ist «Luca» auch ein LGBTQ-Film. Im Mittelpunkt stehen zwei männliche Hauptfiguren mit einer natürlichen, intensiven Bindung. Alberto wird denn auch eifersüchtig auf Giulia, wenn Luca mehr Zeit mit ihr verbringen will. Zufall, dass der Animationsfilm während des Pride Month veröffentlicht wurde? Wohl kaum.
Direkt thematisieren die Filmemacher Homosexualität nicht, dafür fehlt Pixar der Mut. Doch die Hinweise sind offensichtlich. Die Seemonster fürchten sich vor dem Coming-out, aus Angst vor Gewalt und Intoleranz der Menschen. «Uns werden nicht alle akzeptieren», stellen sie fest. Wem das zu subtil ist: Mit ihren knalligen Farben sehen die Monster wie eine lebendig gewordene Pride-Fahne aus.
Luca fehlt es an Substanz
Auch ohne Politik gefällt der Pixar-Film. Zwei liebenswerte Hauptfiguren, eine wunderschöne Kulisse und traumhafte Animationen lassen den Zuschauer in Kindheits-Erinnerungen schwelgen. Die Pasta auf den Tischen macht hungrig, das schöne blaue Wasser lädt zum Baden ein.
Ein Problem hat «Luca» allerdings. Abgesehen davon, dass sich der Film für mehr Toleranz ausspricht, fehlt es dem neusten Pixar-Werk an Tiefgang.
Das liegt an einem zu simplen Drehbuch. Der Zuschauer lernt wenig über das Leben von Luca, obwohl die Ausgangslage – immerhin lebt er unter Wasser – doch so interessant wäre. Gleiches gilt für Alberto. Die Hauptfiguren sind liebenswert, gewiss. Aber ohne jegliche Kontur.
Auch Ercole Visconti, lokaler Mobber und Gegenspieler von Luca, Alberto und Giulia, fehlt es an Profil. Er verhält sich rüpelhaft und sorgt im fiktiven Städtchen für Angst und Schrecken. Das Warum – was eigentlich in jedem guten Disney-Werk erklärt wird – verraten die Filmemacher hingegen nicht.
Sehenswert ist das Coming-of-Age-Märchen dennoch. Doch mit Pixar-Werken wie «Up», «Ratatouille», «Toy Story» oder dem letztjährigen «Soul» kann er nicht mithalten. Dafür fehlt es ihm an Substanz. «Luca» ist wie ein durchschnittlicher Sommerurlaub: nach wenigen Wochen bereits Vergessenheit.