Autorenfilmer Paul Thomas Anderson zeigt mal wieder seine leichte Seite. «Licorice Pizza» ist keine schwere Charakterstudie wie «Der seidene Faden» oder «The Master», sondern eine quirlige Coming-of-Age-Komödie mit Herz, Stil und Charme.
Die Geschichte beginnt in einer Highschool im Kalifornien der 70er-Jahre. Am Tag, an dem die Fotos für das Jahrbuch gemacht werden, trifft Gary (Cooper Hoffman) zum ersten Mal Alana (Alana Haim). Sie arbeitet – durch und durch unmotiviert – als Hilfskraft für den Fotografen. Trotz des Altersunterschieds von zehn Jahren fragt der selbstbewusste Teenager Gary die Mittzwanzigerin nach einem Date.
Auf den ersten Blick wirken ihre Rollen vertauscht. Alana geht planlos durch die Welt. Sie lebt noch immer bei ihren Eltern und hangelt sich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben. Der jüngere Gary verfolgt hingegen bereits eifrig seine Schauspielkarriere und strotzt vor Geschäftsideen. Zwischen den beiden Hauptfiguren entsteht eine komplizierte, geschwisterähnliche Dynamik.
Viel Liebe zum Detail
«Licorice Pizza» ist ein angenehmes Filmvergnügen. Trotz aller Leichtfüssigkeit handelt es sich um ein sehr durchdachtes Konzept. Jeder kleine Subplot, jede noch so skurrile Nebenfigur dient der Handlung. Auch die Ölkrise, der offen gelebte Sexismus und der Konservatismus der Nixon-Ära sind wichtige Zutaten für das Script. Zufällig ist hier nichts.
Der Filmemacher legt ein hohes Tempo vor. Was unnötig ist, wird nicht gezeigt. Zügig springen Gary und Alana von einem Grossstadtabenteuer zum nächsten. Das macht «Licorice Pizza» unberechenbar, aber sehr unterhaltsam. Trotzdem bleibt der Film authentisch. Gefühlvoll porträtiert er zwei junge Menschen, die ihren Platz in einer wirren Welt suchen.
In den Hauptrollen sind zwei unbekannte Gesichter. Haim ist Musikerin und war in Filmproduktionen bisher hauptsächlich für den Soundtrack zuständig. Hoffmann – Sohn von Andersons langjährigem Kollaborationspartner Philip Seymour Hoffman – hatte zuvor noch überhaupt keinen beruflichen Bezug zur Traumfabrik.
Ihre Darbietung ist dennoch alles andere als dilettantisch. Sei es ein verlegenes Lächeln, ein zorniger Blick oder kindisches Gezanke. Die Emotionen wirken echt und ungefiltert, das Schauspiel ist facettenreich. Die Chemie zwischen Haim und Hoffman auf der Grossleinwand zu sehen ist schlicht fantastisch.
«Licorice Pizza» mit starkem Cast
In den Nebenrollen tauchen grossen Namen auf: John C. Reilly, Tom Waits, Sean Penn und Bradley Cooper. Letzterer überzeugt mit seinem irrwitzigen und bedrohlichen Porträt des real existierenden Filmproduzenten Jon Peters so sehr, dass ich am liebsten seine Szenen zurückgespult und erneut angeschaut hätte. Das geht im Kino natürlich nicht.
Der Score stammt erneut aus der Feder von Musik-Wunderkind Jonny Greenwood. Wie der Filmemacher gibt sich auch der Komponist dieses Mal etwas leichtfüssiger. Überstrahlt wird seine Arbeit allerdings durch den coolen 70er–Soundtrack, der mit The Doors, David Bowie oder Paul McCartney and the Wings ständig den passenden Grundton liefert.
Die Musik spielt bereits im Filmtitel. «Licorice Pizza» (Lakritz Pizza) lässt sich im Verlauf der 133 Minuten Spielzeit zwar als Kombination zweier Dinge interpretieren, die schmecken, aber nicht zusammenpassen. Eigentlich ist es aber ein Slang-Ausdruck für Langspielplatte (LP).
Wie gewohnt ist auch Andersons jüngstes Werk gekonnt inszeniert. Lange Kamerafahrten, schöne Analog-Bilder und der meisterhafte Einsatz von Naturlicht entzücken. Visuelle Perfektion wie «Der seidene Faden» oder «The Master» liefert der Film allerdings nicht. Ein bewusster Entscheid, wie ich glaube. «Licorice Pizza» ist zwar Arthaus-Kino – aber nicht für den Kopf, sondern fürs Herz.
Wunderbares Detail aus einem Imdb-Trivia-Beitrag:
Angeblich wusste keiner der jüngeren Darsteller etwas davon, dass Bradley Cooper in dem Film mitspielt. Cooper Hoffman und Alana Haim sahen ihn zum ersten Mal auf dem Set, als er sich vor laufender Kamera als Jon Peters vorstellt. Dieser Take wurde dann auch im Film verwendet.