Im Westen nichts Neues (2022)

«Im Westen nichts Neues» kennt keine Helden. Stattdessen zeigt die Netflix-Produktion, wie Krieg wirklich ist: dreckig, grausam und entmenschlichend. Ein niederschmetterndes Antikriegsdrama über den Ersten Weltkrieg, das im heutigen geopolitischen Klima relevanter ist denn je.

Euphorisch ziehen der 17-jährige Paul Bäumer (Felix Kammerer) und seine Freunde in den Krieg: Sie träumen von Stolz, Ruhm und Ehre. Doch es kommt alles anders. An der Westfront in Frankreich geht es schnell nur noch ums Überleben. Bäumer muss zusehen, wie seine Kollegen nach und nach getötet werden. Mit jedem Schuss verliert er ein weiteres Stück Menschlichkeit.

Grundlage für «Im Westen nichts Neues» liefert der gleichnamige Antikriegsroman von Erich Maria Remarque aus dem Jahr 1929. Das Buch wurde bereits zwei Mal verfilmt, allerdings erzählt die Netflix-Produktion die Geschichte erstmals aus deutscher Perspektive. Zudem haben Regisseur Edward Berger und seine Co-Autoren Lesley Paterson und Ian Stokell den Stoff ergänzt: der Abgeordnete Matthias Erzberger (Daniel Brühl), der mit den Franzosen Frieden schliessen will, kommt im Roman nicht vor.

Im Schützengraben.

Dadurch entsteht ein befremdender Kontrast: Einerseits die gut gekleideten Diplomaten, welche bei Kaffee und Croissants um Krieg oder Frieden verhandeln, andererseits die Soldaten in gebrauchten Uniformen, die im Sekundentakt auf dem Schlachtfeld geopfert werden.

«Im Westen nichts Neues» mit eindringlicher Botschaft

Im Kern ist «Im Westen nichts Neues» ein pazifistisches Statement. Anders als bei vielen Kriegsfilmen, verzichtet Regisseur Berger hier auf jegliche Form von Patriotismus. Auch die gern gesehene Kameradschafts-Romantik fehlt. Stattdessen konzentriert sich der Filmemacher darauf, was Krieg in Menschen auslöst.

Berger zeigt den Horror unbeschönigt. Wo andere Regisseure wegdrehen, hält er drauf. Bäumers Albtraum im Schützengraben bekommt der Zuschauer aus erster Hand mit. «Im Westen nichts Neues» ist realistisches und intensives, oft gar unbequemes Kino. Eine cineastische Grenzerfahrung. Man will wegsehen, am liebsten den Saal verlassen.

Die hohe Intensität ist auch der starken Kameraarbeit zuzuschreiben. Kameramann James Friend setzt oft auf lange Aufnahmen, um den Krieg nüchtern und unbeschönigt einzufangen. Das ist nicht nur effektiv, sondern gibt dem Film einen einzigartigen Look, der sich vor teuren Hollywood-Produktionen nicht verstecken muss. Der dröhnend-deprimierende Score gibt den nötigen Nachdruck. Ein guter Entscheid, «Im Westen nichts Neues» für Deutschland ins Oscar-Rennen zu schicken.

Man kann aber nicht über Höhepunkte schreiben, ohne Jungtalent Kammerer zu erwähnen. Nicht nur kann er schauspielerisch mit gestandenen Grössen mithalten, vielmehr stiehlt er ihnen das Rampenlicht. Seine Darstellung ist subtil, aber herzzerreissend authentisch. Durch ihn erhält «Im Westen nichts Neues» den Realismus, den der Stoff verlangt und verdient.

Ab Ende Oktober ist Bergers Werk auf Netflix verfügbar und wird dadurch einem breiten Publikum zugänglich. Gut so. Wer kann, sollte sich den Film aber auf der Grossleinwand ansehen. «Im Westen nichts Neues» verdient unsere volle Aufmerksamkeit.

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