Funny Games U.S. (2007)

Michael Haneke ist der Moralist des europäischen Kinos. Legendär ist seine Kritik am Holocaust-Drama «Schindlers Liste»: «Ich kann nicht ein Spannungsmoment daraus machen, ob aus der Dusche Gas oder Wasser kommt». Ein solches Thema dürfe nicht zur Unterhaltung dienen.

Um Moral geht es auch bei «Funny Games». Der Plot ist simpel: Ein gutbetuchtes Ehepaar fährt samt Sprössling ins Ferienhaus am See. Kurz nach Ankunft werden sie von zwei jungen Männern in Geiselhaft genommen. Was wie ein Horrorfilm der 70er Jahre klingt, ist eigentlich ein Kommentar über den Zustand des heutigen Kinos.

«Funny Games» funktioniert allerdings auch als reiner Horrorthriller. Schnell erzeugt er Spannung, selbst nach mehrmalige Anschauen. Aus einer anfänglich unbequemen Situation wird unerträglicher Terror. Der Zuschauer leidet mit dem Ehepaar George (Tim Roth) und Ann (Naomi Watts) und Sohn Georgie (Devon Gearhart) mit. Schaffen sie es, sich aus den Fängen von Peter (Brady Corbet) und Paul (Michael Pitt) zu befreien?

«Funny Games» beginnt harmlos. Peter (Brady Corbet) bittet Ann (Naomi Watts) um vier Eier.

Anders als Genre-Vertreter geht der Österreicher über explizite Gewaltdarstellung hinaus. Er zeigt, was danach kommt. Dadurch fängt Haneke ungeschönte, rohe Emotionen ein. Etwa, wenn Ann gefesselt vor dem TV weint und die Kamera in einer einzigen Einstellung fast fünf Minuten lang weiterläuft. Kein Schnitt, keine Musik. Dafür Schreie, Schluchzen, Ächzen. Eine unerträgliche Szene, die bei mir jedes Mal Unbehagen auslöst.

Haneke hat den Film zweimal gedreht. Das Original 1997 mit Susanne Lothar († 2012) und Ulrich Mühe († 2007) in den Hauptrollen, das Remake zehn Jahre später. Neben der Besetzung mit bekannten Hollywood-Schauspielern hat der Österreicher beim zweiten Mal kaum was geändert.

Funny Games US ein exakter Nachbau des Originalfilms

Die Aufnahmen sind praktisch identisch, trotz unterschiedlichen Kameramännern. Die Filmmusik – oder besser, die gespielten Opern-Stücke und der wirre Jazz-Metal-Titelsong – wurden übernommen, die Dialoge direkt übersetzt. Unterschiede fallen nur im Detail auf: Der Schäferhund wurde durch einen Golden Retriever ausgetauscht, der Range Rover durch ein neues Modell ersetzt und über den TV-Bildschirm flimmern Nascar-Autos statt Tourenwagen. Warum der Aufwand? Haneke wollte mehr Zuschauer erreichen, gerade in den USA. Da er nichts an der Aussage des Films ändern wollte, baute er ihn 1:1 nach.

Beide Varianten von «Funny Games» sind packend, wobei mir das Original etwas besser zusagt. Lothar und Mühe wirken als Ehepaar authentischer. Wohl auch, weil die beiden Schauspieler fernab von der Leinwand ein Paar waren.

In den zehn Jahren, die zwischen den Filmen liegen, hat sich das Kino verändert. Filmgewalt war Ende der 90er Jahre omnipräsent, allerdings war das Ausmass damals noch geringer. Mit Streifen wie «Saw» und «Hostel» hat das Horror-Kino Mitte der Nullerjahre eine neue Stufe der Gewalt erreicht.

Damit ist Haneke nicht einverstanden. Und seine Abneigung macht er schnell deutlich. Früh wendet sich Paul direkt an den Zuschauer und fragt: «Ihr seid auf ihrer Seite, oder?» «Funny Games» macht damit den Kinogänger zum Mittäter.

Paul (Michael Pitt), Ann (Naomi Watts) und Peter (Brady Corbet).

Doch sind wir das? Mit Blick auf die Torture-Porn-Welle kann ich Haneke gut zustimmen. Der Horrorfilm verkam nach der Jahrtausendwende zu einer Gewaltorgie, die einzig davon lebte, den Zuschauer zu ekeln. Das Publikum wollte immer mehr, die Filmindustrie lieferte. Ein Milliarden-Geschäft, befeuert von Gier nach Blut.

Ich finde aber, dass Gewalt im Kino durchaus eine Daseinsberechtigung hat. Horror-Klassiker wie «Psycho» oder «Halloween» würden ohne gar nicht funktionieren. Essenziell ist Gewalt auch im Kriegsfilm – ohne wäre er unrealistisch und schönfärbend.

Natürlich gibt es Graustufen. Darf eine Folterszene cool sein? Darf ein Mord uns zum Lachen bringen? Darauf habe ich keine Antwort. Ich kann aber mit gutem Gewissen behaupten, dass kein Film mir meine Empathiefähigkeit geraubt hat. Trotzdem lohnt es sich immer wieder zu «Funny Games» zurückzukehren – um den moralischen Kompass neu zu kalibrieren.

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