Manche Filme zünden erst richtig nach Schluss. «First Reformed» ist so einer. Wochenlang blieb er mir im Kopf. Regisseur und Drehbuchautor Paul Schrader hat ein erstklassiges Drama über Religion, Einsamkeit und Verantwortung abgeliefert.
First Reformed ist der Name der Kirche, in der Pfarrer Ernst Toller (Ethan Hawke) predigt. Einst wurden hier Sklaven versteckt, heute ist es ruhig geworden um das kleine Gotteshaus in Upstate New York. Nur wenig Gläubige besuchen die Kirche, unterhalten wird sie von einer evangelikalen Megachurch.
Das Unheil nimmt in Tollers Welt überhand, als Mary (Amanda Seyfried) ihn bittet, sich ihrem Mann Michael (Philip Ettinger) anzunehmen. Seit der Umweltaktivist erfahren hat, dass seine Frau schwanger ist, befindet er sich in einer Abwärtsspirale. «Er findet es falsch, ein Kind in diese Welt zu setzen».
Michael und Toller treffen sich. Der junge Mann sieht die Welt vor dem Umwelt-Kollaps. «Es wird sehr schnell gehen». Michael scheint depressiv, argumentiert aber wissenschaftlich: Versunkene Länder, Klima-Flüchtlinge. Toller fällt es schwer, eine spirituelle Antwort zu liefern. Er versucht, Michael mit allgemeinen Phrasen zu besänftigen.
Toller ist nach aussen ein unauffälliger Priester. Er ist ruhig und anständig, seine Wortwahl bedächtig. Doch seine Gedankenwelt ist düster. Toller hinterfragt sich und seinen Glauben. Er ist einsam und trinkt – auch mal zum Frühstück.
«First Reformed» ist ein Update von «Taxi Driver»
Mary bittet Toller erneut um Hilfe, nachdem sie in der Garage ihres Hauses eine Selbstmordweste gefunden hatte. Dieser nimmt die Weste an sich, die Polizei wird nicht involviert. Zu einem zweiten Treffen zwischen dem Pfarrer und dem Umweltaktivisten kommt es nicht. Michael nimmt sich das Leben. Nun ist es Toller, der sich um die Umwelt sorgt.
«First Reformed» ist schwere Kost. Der Film ist intensiv und bedrohlich, gleichzeitig aber distanziert. Die Farben sind oft kalt, die Kamera gespenstisch ruhig, die Bilder symmetrisch – Schrader hat fast ausschliesslich mit einem Stativ gedreht. Unterstrichen wird das Drama mit einem düsteren Soundtrack, der mehr Hintergrundgeräusch als Musik ist.
Mit den beiden Hauptdarstellern Ethan Hawke und Amanda Seyfried hat der Filmemacher alles richtig gemacht. Hawke liefert als alkoholkranker Pfarrer in Sinneskrise («Ich trinke nur ein Glas beim Essen») eine erstklassige Performance ab, einer der besten seiner Karriere. Seyfried überzeugt ebenfalls als gutherzige, trauernde Witwe.
«First Reformed» erinnert stark an «Taxi Driver». Beide Hauptfiguren kommen mit der Welt nicht mehr klar, beide entkommen dem Abgrund nicht. Kein Zufall: Martin Scorseses Meisterwerk stammt ebenfalls aus Paul Schraders Feder. Das macht «First Reformed» aber nicht zu einer Kopie von «Taxi Driver». Wenn überhaupt, dann zu einem Update.
Schraders Werk hinterfragt die Rolle der Kirche in der Klima-Debatte. Damit sticht er in ein Wespennest. Noch heute leugnen viele Evangelikale in den USA den Klimawandel und bekämpfen Massnahmen, die die Umwelt schützen. Persönliche Freiheit und Wirtschaft werden stärker gewichtet. Sollte man so mit Gottes Schöpfung umgehen? Oder wie Toller seinen Kollegen fragt: «Wir wissen, wer für Big Business gesprochen hat. Aber wer sprach für Gott?»