Everything Everywhere All at Once (2022)

Der Titel sagt alles. «Everything Everywhere All at Once» ist überdreht, chaotisch und fordernd. Und doch haben die Filmemacher Dan Kwan und Daniel Scheinert – sie nennen sich schlicht Daniels – eine Filmperle erschaffen, die trotz haufenweise irrwitziger Ideen ein breites Publikum ansprechen dürfte.

Das Leben von Evelyn (Michelle Yeoh) und Waymond Wang (Jonathan Ke Quan) ist unspektakulär. Gemeinsam betreibt das Emigranten-Ehepaar einen Waschsalon in den USA. Ihre Liebe wurde längst vom Alltag eingeholt. 

Die simplen Zeiten sind bald vorbei. Bei einem Termin bei der Steuerbehörde stellt Evelyn fest, dass sie zwischen Universen umherspringen kann. Und nicht nur das. Sie muss den geheimnisvollen Jobu Tupaki stoppen, der das ganze Multiversum auslöschen will.

«Everything Everywhere All at Once» liefert das, was «Doctor Strange in the Multiverse of Madness» versprochen hat. In irrem Tempo springt der Film von Universum zu Universum. Und diese könnten interessanter kaum sein. Die Daniels – seit der grotesken Komödie «Swiss Army Man» in der Indie-Szene gefeiert – setzen auch in ihrem zweiten Spielfilm auf Bilder und Welten, die es sonst auf der Leinwand nicht gibt.

Eine richtige Nervensäge: wunderbar gespielt von Jamie Lee Curtis.

Nur bei den Sprachen geben sich die Filmemacher vergleichsweise bodenständig. Anders als die Universen – es sind über 4000 – ist die Vielfalt überschaubar. Die Protagonisten sprechen entweder Englisch, Mandarin oder Kantonesisch.

Viele Referenzen an Kultfilme

Insgesamt greifen die beiden Kreativköpfe auf die halbe Filmgeschichte zurück. Es gibt Referenzen an den Pixar-Liebling «Ratatouille» und Science-Fiction-Klassiker wie «The Matrix» und «2001: Odyssee im Weltraum». Und mit reihenweise erstklassig choreografierten Kampfkunst-Sequenzen zollen sie dem asiatischen Action-Kino Tribut.

Dieser Genre-Mix macht den Film zu einem unberechenbaren Ritt. Trotz der (sehr willkommenen) Reizüberflutung schaffen es die Filmemacher den Zuschauer auch emotional anzusprechen. Stellt man Universen, Action und Witz beiseite, ist «Everything Everywhere All at Once» ein Film über Familie, Herkunft und Liebe.

Anders als Marvel-Grossproduktionen, setzen die Daniels für das Science-Fiction-Genre überraschend wenig auf Greenscreens. Statt virtuelle Welten zu schaffen, holen sie mit rasanten Schnitten und umgebauten Kulissen die Universen auf die Leinwand. Das gibt dem Film ein schönes Indie-Flair und dürfte ihn besser altern lassen als CGI-lastige Blockbuster. 

Auch das Schauspiel überzeugt. Jamie Lee Curtis hat als nervtötende Steuerbeamtin ihre wohl beste Rolle seit Jahren. Höhepunkt ist unbestritten aber Michelle Yeoh. Ob als unzufriedene Migrantin, fürsorgliche Mutter oder als Kung-Fu-Meisterin: ihre Performance ist immer eine Punktlandung.

«Everything Everywhere All at Once» ist nicht perfekt. Insbesondere die emotionalen Szenen wollten bei mir nicht richtig zünden. Ein paar Dialoge mehr hätten geholfen, um das Innenleben der Figuren besser einzufangen. Das Zwischenmenschliche im Action-Chaos mochte ich sehr – berührt hat es aber zu wenig. Zudem gibt es in der zweiten Filmhälfte ein paar Längen.

Wer Martial Arts mag, sollte sich «Everything Everywhere All at Once» im Kino anschauen. Wer schrägen Humor mag, ebenso. Und wer meint, Hollywood produziere nur noch Einheitsbrei, sowieso. Die Daniels haben für fast jeden etwas in den Film verpackt. Man kann gespannt sein, was sie sich als Nächstes ausdenken.