Der Himmel über Berlin (1987)

Irgendwann sitzt Engel Damiel (Bruno Ganz) im Zirkus. Wie ein Kind freut er sich über die Darbietung der Artisten. Als das Publikum klatscht, will er mitklatschen. Er öffnet seine Hände – und senkt sie wieder. Klatschen bringt nichts. Niemand kann ihn hören oder sehen.

«Der Himmel über Berlin» erzählt die Geschichte von zwei Engeln in der Grossstadt. Sie sind passive Bewohner, mit den Menschen direkt interagieren können sie nicht. Dafür hören Damiel und Cassiel (Otto Sander) deren Gedanken. Und können versuchen, diese auf die richtige Bahn zu lenken.

Genau 35 Jahre ist es her, seit Wim Wenders’ poetisches Filmmärchen in Cannes uraufgeführt wurde. Von seiner Faszination hat der Film, dessen Drehbuch in Teilen mit dem Literatur-Nobelpreisträger Peter Handke entstanden ist, in den drei Jahrzehnten nichts verloren.

Es ist die Bildsprache, die zuerst auffällt. Der deutsche Filmemacher setzt auf ruhige Schwarzweissbilder. Auch wenn das Fehlen von Farben heute gerne als hippes Gimmick verwendet wird, so hat es hier einen klaren Nutzen. Es symbolisiert die Leblosigkeit, mit der die beiden Engel für die Ewigkeit verdammt sind. Sie bekommen das Leben auf der Erde zwar aus nächster Nähe mit – aber nur von der Seitenlinie aus.

Ganz nah und doch fern: Der Engel Damiel (Bruno Ganz) ist für Menschen nicht sichtbar.

Ebenfalls erlebt der Zuschauer die Welt der Engel durch das Sounddesign. Sie hören die Gedanken der Menschen, doch das Drumherum fehlt. Kein helles Klatschen, wenn Bierdosen auf den Boden fallen. Kein unanständiges Schmatzen beim Essen. Alles ist still. Gepaart mit schönen Bildern von Kameralegende Henri Alekan, wird «Der Himmel über Berlin» so zu einem fast meditativen Kinoerlebnis.

Dieses Nichterleben ist Zentrum des Films. Wenders zeigt damit leicht verständlich auf, wie simple Dinge die menschliche Existenz bereichern. Der Geschmack eines guten Kaffees oder die Unterhaltung mit einem Fremden. Engel kennen das nur vom Hörensagen.

Direkter Einblick in die Seele

Gleichzeitig wird die Menschlichkeit in Form der Gedanken und Erinnerungen, die wir als Zuschauer ständig hören, präziser erfasst als in den meisten anderen Spielfilmen. Die Furcht vor der Zukunft, das Nichtverstehen der Vergangenheit: «Der Himmel über Berlin» gibt direkten Einblick in die Seele. Das ist rührend, witzig und stellenweise ernüchternd.

Dieser Schwere hält der Filmemacher mit Colombo-Darsteller Peter Falk entgegen. Der spielt eine fiktionale Version seiner selbst, die in Berlin einen Film über die Nazi-Zeit dreht. Falk lebt ein Leben, das sich die beiden Engel so sehr wünschten. Inmitten der Menschen, beliebt und voller kindlicher Neugier.

Wenders Werk ist mehr Erlebnis fürs Herz als Spielfilm. Früh ummantelt den Betrachter eine leichte Melancholie, die ihn erst spät im letzten Akt loslässt. Neben präziser Kameraarbeit, starkem Sounddesign, poetischen Dia- und Monologen, berührendem Streicher-Score und düsterem Goth-Soundtrack – Nick Cave and the Bad Seeds in ihrer Frühphase –, ist es vor allem das Schauspiel, das «Der Himmel über Berlin» zu einem Meisterwerk macht.

Auch wenn alle Darsteller gefallen, sticht Bruno Ganz heraus. Die (unerwiderte) Liebe, die seine Figur in sich trägt, fängt der Zürcher perfekt ein. Ein nüchterner Blick, ein langsames Ausatmen oder ein liebes Lächeln: Ganz’ Schauspiel bewegt sich zwischen herzerwärmend und herzzerreissend.

Obwohl Wenders Ende der 80er-Jahre wieder zum christlichen Glauben gefunden hat, und obwohl zwei Engel im Zentrum stehen, ist «Der Himmel über Berlin» nur am Rande ein Film über Religion. Vielmehr ist es eine zweistündige Liebeserklärung an die Menschen. Eine cineastische Meisterleistung, die trotz ihrer Schwere den Zuschauer mit einem leichten Gefühl zurücklässt. Einer der besten Filme aller Zeiten.