Als Kind will man wissen was hinter der Tür des Lehrerzimmers geschieht. Autorenfilmer Ilker Çatak liefert nun eine ernüchternde Antwort: dasselbe wie davor. «Das Lehrerzimmer» handelt von Mobbing, Vorurteilen und Selbstgerechtigkeit. Ein kluges Drama, das teilweise spannend wie ein Thriller ist.
Carla Nowak (Leonie Benesch) ist eine engagierte Mathematik- und Sportlehrerin. Das Wohl ihrer Schützlinge liegt ihr am Herzen. Sie ist streng, aber korrekt. Und eckt mit ihren hohen moralischen Ansprüchen bei ihren Kollegen an. Als einer ihrer Schüler des Diebstahls verdächtigt wird, überschreitet sie aber ihre eigenen Grenzen.
«Das Lehrerzimmer» beginnt subtil. Doch je länger der Film andauert, desto grösser und offensichtlicher wird das Chaos. Mehr und mehr entgleitet Nowak die Kontrolle. Çatak erzählt dabei mehr als eine Geschichte über eine Schule. Vielmehr ist sie ein Spiegel der Gesellschaft: die Lehrer als Regierende, die Schüler als Regierte. Macht von oben herab.
Auch ohne Subtext funktioniert «Das Lehrerzimmer» gut. Der Film präsentiert glaubwürdige, komplexe Figuren, die den Zuschauer schnell an das Drama glauben lassen. Regisseur Çatak stellt moralische Fragen, die keine simplen Antworten zulassen. Wie Hauptfigur Nowak fällt es auch im Kinosaal schwer, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden.
Spannend wie ein Thriller
«Das Lehrerzimmer» baut schnell Spannung auf, die aber lange nicht vom geerdeten Drama ablenkt. Erst im dritten Akt treibt es Çatak so weit, dass sein Werk beinahe seine Glaubwürdigkeit verliert. Der Filmemacher schafft zwar rechtzeitig den Absprung, das Gefühl einer leichten Unausgewogenheit bleibt.
Auf der Habenseite ist eine minimalistisch-schöne, sehr fokussierte Inszenierung. Die Kameraarbeit von Judith Kaufmann erschafft gleich von Beginn weg eine hohe Intimität. Und der kaum greifbare und kalte Score von Marvin Miller untermalt die Stimmungswelt an der Schule perfekt.
Perfekt ist auch Leonie Benesch in der Hauptrolle. Ihr Schauspiel ist subtil, aber stets nachvollziehbar. Die immer grösser werdende Verzweiflung ihrer Figur überträgt sie mit unsicherem Lächeln und nervösen Blicken auf die Leinwand. Und zerrt damit direkt an den Nerven des Zuschauers. Grosses Kino.
«Das Lehrerzimmer» ist ein präzise inszeniertes und überzeugend gespieltes Drama, das den Zuschauer zum Nachdenken anregt. Und der neuste Beweis, dass der deutsche Film auch heute noch relevant ist.