Erst im dritten Akt kocht das Wasser über. Doch dann ist es zu spät: Zuschauer und Protagonisten sind mit ihren Nerven am Ende. «Boiling Point» handelt von einem Abend in einem Nobelrestaurant – fühlt sich aber an wie eine anderthalbstündige Panikattacke.
Das Unheil beginnt mit einem Rüffel des Lebensmittelkontrolleurs. Bemängelt wird nicht die Sauberkeit, sondern dass Küchenchef Andy Jones (Stephen Graham) zuletzt mit dem Papierkram nachlässig war. Fortan steigt der Stresspegel: Volle Tische, unbequeme Gäste und ein berüchtigter Restaurantkritiker halten Jones und seine Kollegen auf Trab.
Filmemacher und Co-Autor Philip Barantini inszeniert «Boiling Point» – wie bereits den gleichnamigen Kurzfilm zwei Jahre zuvor – als sogenannten «One-Shot». Heisst: nur eine Aufnahme ohne Schnitte. Dieses Stilmittel ist selten, aber nicht neu. Meisterregisseur Alfred Hitchcock filmte «Rope» vor über 70 Jahren genau so. Ein Stunt sei das gewesen, sagte er im Nachhinein. Zuletzt sorgte der deutsche Film «Victoria» für Aufsehen.
Anders als beim Hitchcock-Klassiker ist die Technik bei «Boiling Point» keine Spielerei, sondern ein Element, das der Geschichte dient. Durch den «One-Shot» erschafft der Regisseur eine seltene, fast unangenehme Dringlichkeit, die den Zuschauer schnell und tief in den Film hineinzieht.
Faszinierend aber anstrengend
Und das strengt an. Hauptfigur Jones ist schlecht organisiert, unzuverlässig und jongliert über die ganze Spielzeit mit Problemen, die schlussendlich allesamt auf sein Verhalten zurückzuführen sind. Umgehend kommen Erinnerungen an die nervenzehrende Netflix-Perle «Uncut Gems» hoch, wobei dieses Mal das Drama authentischer wirkt.
Dass «Boiling Point» nur aus einer Aufnahme besteht, fällt nach ein paar Minuten Spielzeit nicht mehr auf. Dem mutigen Konzept zum Trotz stehen Gefühls- und Gedankenwelt der Figuren im Zentrum. Die Technik ist nur der Verstärker.
Dabei war viel Aufwand nötig, um den Film zu inszenieren. Wie im Theater musste die Crew während des Drehs die Kulisse umbauen, wenn die Kamera mal den Raum wechselte. Barantini packte diese technische Hürde gekonnt in sein Script rein. Kaum ein Moment wirkt erzwungen oder unnötig.
Natürlichkeit ist die grosse Stärke von «Boiling Point». Die Dialoge wirken spontan, die Figuren und ihre Probleme fühlen sich real an. Kombiniert mit authentischem Schauspiel entsteht ein eindrückliches, fast dokumentarisches Bild. Erst ab dem dritten Akt zieht das Drama seine Geschwindigkeit so stark an, dass dieser Realismus etwas abhandenkommt.
Schlussendlich ist «Boiling Point» ein inhaltlich simpler, aber schweisstreibender Thriller. Es braucht weder ein grosses Set noch lebensbedrohliche Situationen, um den Zuschauer über anderthalb Stunden zu fesseln. Manchmal reicht schon ein überforderter Küchenchef.