Eigentlich ist «Blindspotting» Stoff für ein Drama: Klassenkonflikte, Polizeigewalt, Gentrifizierung. Die Drehbuchautoren Daveed Diggs und Rafael Casal, die zugleich beide Hauptrollen spielen, gehen einen anderen, anspruchsvolleren Weg. Sie schreiben eine Komödie über eine Welt, in der eine Komödie eigentlich keinen Platz hat. Das klappt überraschend gut.
«Blindspotting» spielt in einem Schwarzenviertel in der Arbeiterstadt Oakland (Kalifornien). Collin (Diggs) ist auf Bewährung aus dem Gefängnis. Noch drei Tage, dann kann er sich wieder frei bewegen. In dieser Zeit will er jeglichem Ärger aus dem Weg gehen.
Der Film zeigt eindrücklich, mit welcher Last Verurteilte leben. Selbst die Wohnungssuche wird zur Herausforderung, obwohl viele Häuser leer stehen. Collins Bewährungshelfer fasst den Anspruch der Gesellschaft perfekt zusammen: «Sie sind ein verurteilter Verbrecher. Das sind Sie, bis das Gegenteil bewiesen ist. Beweisen Sie jederzeit das Gegenteil.»
Collin versucht unter dem Radar zu fliegen. Das hat Konsequenzen. Als er Zeuge wird wie ein Polizist einen Schwarzen mit vier Schüssen erschiesst, meldet er es nicht – aus Angst in den Fall reingezogen zu werden. Die Botschaft hier ist klar – Black Lives Matter. Ein politischer Film ist «Blindspotting» dennoch nicht.
Eigentlich ist «Blindspotting» ein Buddy-Movie
Im Kern dreht sich Carlos López Estradas Film um eine Freundschaft zweier junger Männer. Die Hauptfiguren sind gemeinsam aufgewachsen, sehen heute aber vieles unterschiedlich. Collin will ein anständiges, gesundes Leben führen. Miles (Casal) hingegen ist ein planloser Draufgänger – obwohl er Frau und Kind hat.
Als Möbelpacker bekommen beide aus erster Hand mit, wie sich ihre Stadt verändert. Alte Häuser werden abgerissen, Designer-Bauten hingepflanzt. Plötzlich leben weisse, gutbetuchte Hipster in der Nachbarschaft. Während Collin mitzieht – er trinkt plötzlich lokal produzierte Smoothies – regt sich Miles über die Entwicklung grausam auf. Das ist ironisch: Als tätowierter Weisser mit schicker Kurzhaarfrisur unterscheidet er sich optisch kaum von den Zuzüglern.
«Blindspotting» ist trotz aller Ernsthaftigkeit saukomisch. Mehrmals musste ich laut lachen. Der Film schafft den schmalen Grat zwischen Komödie und Drama gekonnt. Selten wirkt ein Witz unpassend. Und dann nur, weil er zu schnell auf einen Schock-Moment folgt.
Dass der Film nicht zum Klassen-Drama wird, liegt an den hervorragenden Hauptfiguren. Collin ist ein herzlicher, guter Typ. Ein Freund, den sich jeder wünscht. Miles ist vollkommen überdreht und streitlustig, aber auch herzensgut. Und beide haben viel Humor. Estradas Film ist ein Buddy-Movie, aber mit Tiefgang. Von der Academy wurde er wohl gerade deswegen komplett ignoriert.
Die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern stimmt. Wenig überraschend, sind die beiden auch abseits der Leinwand seit Jahren befreundet. Mein persönliches Highlight ist allerdings Jasmine Cephas Jones, die Miles Frau Ashley spielt. Sie macht ihre Figur richtig spürbar.
Der Film überzeugt auch handwerklich. Der Schnitt ist zügig, stellenweise herrlich rasant. Passend zu den jungen, wilden Figuren. Ebenso passend sind die kontrastreichen, intensiven Bilder. Schönes Beispiel dafür ist die Eröffnungssequenz. Das Tempo ist konstant hoch, die 95 Minuten gehen unbemerkt vorbei. Und die Rap-Szene am Schluss ist schlicht brillant.