Wer subtiles Kino sucht, ist hier falsch: «Babylon» ist eine berauschende, visuell überwältigende Abrechnung mit Hollywood. Und gleichzeitig eine mit kindlicher Ehrlichkeit verfasste Liebeserklärung ans Filmemachen. Manchmal abgründig, oft schrill, aber fast immer unwiderstehlich.
In den 1920er-Jahren läuft es gut in Hollywood. Am Laufband produziert die Traumfabrik Stummfilme fürs hungrige Publikum. «Babylon» begleitet dabei drei von realen Personen inspirierte Figuren: Schauspiel-Altmeister Jack Conrad (Brad Pitt), Newcomerin Nellie LaRoy (Margot Robbie) und Handlanger Manny Torres (Diego Calva). Sie wissen nicht, dass eine neue technische Errungenschaft – der Tonfilm – bald die ganze Branche auf den Kopf stellen wird.
Damien Chazelle gehört derzeit zu den talentiertesten Filmemachern in Hollywood. Sein zweiter Spielfilm «Whiplash» bescherte ihm eine Oscar-Nominierung, mit dem Nachfolgewerk «La La Land» konnte der damals 32-Jährige das Goldmännchen nach Hause nehmen. Doch erst mit seinem Herzensprojekt «Babylon» dreht er richtig auf.
Knapp über drei Stunden Spieldauer, aber kaum Zeit zum Durchatmen. Mit seinem jüngsten Werk präsentiert das Film-Wunderkind Hollywood als unmoralisches Sammelbecken der Sünden: Chazelle wirft bereits nach wenigen Minuten Drogen, Orgien, exotische Tiere und Körperflüssigkeiten auf die Leinwand. Umgehend wird «Babylon» seinem Namen gerecht.
Die dreckige Traummaschine
Die Exzesse sind erstklassig inszeniert. Mit langen, ungeschnittenen Aufnahmen und pulsierendem Jazz-Score lässt der Filmemacher den Zuschauer tief in die schrille Welt des alten Hollywoods abtauchen. Dann kommen Erinnerungen an «The Wolf of Wall Street» oder «La dolce vita» hoch. Doch hinter der knallbunten Fassade steckt auch im Fall von «Babylon» mehr. Chazelle zeigt eine Branche in der Transformation. Manche gewinnen, andere verlieren. So schnell die Traumfabrik Menschen schluckt, so schnell spuckt sie sie wieder aus.
Ob «Singin’ in the Rain» in den 50er-Jahren oder zuletzt «The Artist»: Die Filmbranche hat schon mehrere Male den Wandel vom Stumm- zum Tonfilm aufgearbeitet. Doch «Babylon» ist anders als seine Vorgänger. Nach den ersten – teils urkomischen – 90 Minuten schlägt der Film vermehrt düstere Töne an. Auf herzliche Lacher folgen bittere Tränen.
Chazelle zeigt gut auf, was der technologische Fortschritt für den Einzelnen bedeutet. Das ist heute genauso relevant, da derzeit durch die Digitalisierung die ganze Branche erneut durchgeschüttelt wird. Gleichzeitig macht der Filmemacher klar, wie diese unabdingbaren Entwicklungen das Medium vorantreiben.
Obwohl sich «Babylon» viel Zeit nimmt und nur drei Figuren ins Zentrum setzt, fehlt diesen die letzte Prise Substanz. Gut genug, um mitzufühlen – aber zu wenig, um lange in Erinnerung zu bleiben. Schade, aber verzeihbar. Das Manko wird durch das grandiose Schauspiel mehr als kompensiert.
Das Trio ist hervorragend ausgewählt. Brad Pitt spielt den alternden Lebemann perfekt, Diego Calva den ehrgeizigen Aufsteiger ebenso. Lange noch werden wir aber über Margot Robbie sprechen. Ihre lebensbejahende Leinwandpräsenz ist fast übermenschlich. Die Energie, mit der sie die wilde Schauspielerin spielt, überträgt sich ab der ersten Minute direkt auf den Zuschauer. Sinnlich und aufbrausend, aber weder angestrengt noch unnatürlich. Schon ihretwegen lohnt sich ein Besuch in «Babylon».
Also los, ab ins Kino. Bestaunen wir zum (vorerst) letzten Mal das irre, alte Hollywood.