All the Beauty and the Bloodshed (2022)

Zunächst wirkt «All the Beauty and the Bloodshed» unfokussiert. Der Dokumentarfilm beginnt als Erzählung über eine alternde Aktivistin, die sich gegen die Pharmafamilie Sackler auflehnt. Dann springt Regisseurin Laura Poitras in der Zeit zurück. Plötzlich sehen wir das Porträt einer Künstlerin, die sich im dreckigen New York der 70er-Jahre durchschlägt.

Es geht um dieselbe Frau: die preisgekrönte Fotografin Nan Goldi. «All the Beauty and the Bloodshed» erzählt von deren Kindheit, künstlerischem Schaffen und Leben in der LGBT-Szene, und wie sie später zu einer der lautesten Stimme in der Opioidkrise in den USA wurde.

Ihr Aktivismus ist persönlich. Nach einem Unfall wurde Goldi vom Schmerzmittel Oxycontin abhängig und kämpfte jahrelang mit ihrer Sucht. Seit dem Entzug hat sie die Besitzerfamilie von Purdue Pharma im Visier. Mit breit orchestrierten Aktionen in Kunstmuseen zeigt sie auf den berüchtigten Oxycontin-Hersteller. Die verschwiegene Familie Sackler, die zu den grössten Spendern der Kunstwelt gehört, steht plötzlich im Mittelpunkt.

Nan Goldi in «All the Beauty and the Bloodshed»
Gibt nicht auf: Fotografin Nan Goldi.

Hier der Pharmakonzern, der mit seinen süchtig machenden Produkten hunderttausende Menschen aus dem Leben gerissen hat. Da die Künstlerin, die ohne Scheuklappen durch ein buntes New York schreitet. Die zwei Pole könnten kaum weiter voneinander entfernt sein. Je länger der Film aber andauert, desto näher kommen sie sich.

Gemeinsam stärker

Früh verbinden sich die beiden Erzählstränge durch ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Ob wilde LGBT-Szene oder breit abgestützte Aktivistengruppe: als Einzelkämpfer geht es nicht vorwärts, zusammen aber schaffen sie Übermenschliches. Das beschert dem Film ein paar berührende, äusserst humane Momente.

Trotzdem wirkt der Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit eine Weile noch unpassend. Die Geschichte um die Familie Sackler und deren krimineller Energie ist spannend wie ein Thriller: Bedrohte Journalisten, verfolgte Aktivisten und ein Meer von Anwälten. Unweigerlich fiebert man beim Kampf zwischen David und Goliath mit.

Trailer zu «All the Beauty and the Bloodshed»

Die Erzählung über Goldis Erwachsenwerden ist zwar interessant, wirkt aber anfänglich unangemessen leichtfüssig. Frech und schamlos kämpft sich die junge Künstlerin durch den Grossstadtdschungel. Man wünscht sich, Regisseurin Poitras würde sich auf die aktivistische Seite der Fotografin konzentrieren. Ein Irrtum. Erst wenn sich die beiden Erzählstränge annähern, entfaltet der Film seine ganze Kraft.

Poitras jüngstes Werk ist ein mehrschichtiges, stellenweise aber schwer verdauliches Porträt einer rastlosen Künstlerin. Besonderes Interesse an Fotografie, der LGBT-Szene oder der Sackler-Familie ist unnötig. Irgendwann holt «All the Beauty and the Bloodshed» alle ab. Ein Kunststück, das nur wenige Dokumentarfilme schaffen.

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