Hollywood hat in den letzten Jahren den Weltraum-Film neu entdeckt. Häufig kommt dabei allerdings durchschaubarer Einheitsbrei heraus. «Ad Astra» ist zum Glück anders. Statt von Aliens und künstlicher Intelligenz erzählt Regisseur und Drehbuchautor James Gray eine Geschichte über das Menschsein – Millionen Kilometer von der Erde entfernt.
Im Zentrum steht Roy McBride (Brad Pitt). Ihn als nüchtern zu bezeichnen wäre eine Untertreibung. Der Weltraum-Ingenieur scheint nie aus der Ruhe zu kommen – nicht mal im Katastrophenfall. Das zeigt sich gleich zu Beginn.
Während er eine kilometerlange Antenne repariert, versetzt ihn eine Energiewelle in freien Fall. Er versucht, sich in der Luft zu stabilisieren, damit er den Fallschirm öffnen kann. Mit Erfolg. Roy landet sicher auf der Erde. Sein Puls war nie über 80.
«Ad Astra» (lateinisch: «zu den Sternen») spielt in der nahen Zukunft. Die Menschheit hat Teile des Mondes und Mars bereits kolonialisiert. Doch sie will mehr. Jahre bevor die Handlung beginnt, wurde Roys Vater Clifford (Tommy Lee Jones) – eine Astronauten-Legende – zum Neptun geschickt, um nach ausserirdischem Leben zu suchen. Der Kontakt brach ab, die gesamte Crew wurde für tot erklärt.
Sohn sucht Vater im Weltall
Möglicherweise verfrüht. Wie Roy lernt, kam diese Energiewelle, die auf der Erde bereits tausende Menschenleben gekostet hat, direkt vom Neptun aus. Steckt sein Vater dahinter? Die Weltraumbehörde SpaceCom schickt ihn in geheimer Mission auf den Mars, damit er versuchen kann, mit seinem Vater Kontakt aufzunehmen.
Roy ist ein ruhiger Typ. Gegenüber seinen Vorgesetzten verhält er sich korrekt, er drückt sich sachlich und präzise aus. Die psychologischen Tests am Computer, die über seine Einsatzfähigkeit entscheiden, besteht er stets problemlos. Seine distanzierte Art ist gleichzeitig seine grösste Schwäche. Im Umgang mit anderen ist er kühl. Seine Ehe ist daran gescheitert.
«Ad Astra» lebt von vielen Off-Kommentaren des Hauptprotagonisten, in denen er sein Innenleben preisgibt. So entsteht ein differenziertes Bild eines intelligenten, aber einsamen und unsicheren Mannes.
«Ad Astra» erinnert an Filme von Malick
Mit diesen oft philosophischen Kommentaren erinnert der Film an die Werke von Regisseur Terrence Malick. Allerdings ist Grays Science-Fiction-Drama deutlich zugänglicher und lässt weniger Interpretationsspielraum.
«Ad Astra» ist einerseits eine Geschichte über eine gescheiterte Vater-Sohn-Beziehung. Clifford liess seine Familie zurück, weil er die Arbeit über Sohn und Frau stellte. Auch wenn Roy darunter gelitten hat, macht er es seinem Vater gleich. Das Kind wiederholt die Fehler der Eltern.
Andererseits hinterfragt der Film unsere Sehnsucht nach dem Weltall. Schrille Milliardäre wie Elon Musk, Jeff Bezos und Richard Branson wollen die Raumfahrt kommerzialisieren. Doch wofür? In «Ad Astra» gleichen die Stationen auf dem Mond einem Freizeitpark. Mehr als Unterhaltung scheint eine Reise ins Weltall nicht zu sein. Roy sieht darin einzig eine «Nachbildung dessen, wovor wir auf der Erde fliehen.»
Optisch ist der Film eine Wucht. Mit Genre-Grössen kann er problemlos mithalten. Kein Wunder. Mit Hoyte van Hoytema sass der Mann hinter der Kamera, der bereits Christopher Nolans «Interstellar» zu einem visuellen Meisterwerk gemacht hat. Nicht nur die Weltall-Aufnahmen, auch die Innenräume gefallen – besonders der Retro-Look der Mars-Basis. Hier zeigt sich gut, welche Kraft analoge Aufnahmen noch heute haben.
Zwei Schnitzer trüben das Bild
Wie es sich für einen guten Science-Fiction-Film gehört, untermalt die Musik die Bilder perfekt. Mal sind die Synth-Klänge bedrohlich und düster, mal sphärisch und warm. Auf Pathos hat Komponist Max Richter glücklicherweise verzichtet.
Brad Pitt ist allerdings das Highlight von «Ad Astra». Die Zweifel seiner Figur sind ihm ins Gesicht geschrieben. Seine Performance ist nüchtern und trotzdem emotional. Pitt sticht heraus – selbst wenn er die Leinwand mit Hollywood-Legenden wie Tommy Lee Jones und Donald Sutherland teilt.
Trotz allem Lob ist «Ad Astra» nicht fehlerfrei. Der Film ist ruhig und faszinierend, verliert aber zu Beginn des dritten Akts an Spannung. Das wird mit einem starken Schluss grösstenteils kompensiert.
Deutlich störender fand ich eine Action-Szene an Bord einer Raumstation. Sie ist für die Handlung unnötig und bricht mit der zuvor aufgebauten, bedrückenden Stimmung. Es scheint, als hätten die Filmemacher damit das Publikum eines typischen Science-Fiction-Actionfilms abholen wollen. Den positiven Gesamteindruck trüben die beiden Schnitzer aber nur wenig.